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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Zweiter Abschnitt.
persönlich zu erscheinen. -- In Bezug auf die einzelnen
Versuchungen wird man dem Kanon seinen Beifall nicht
versagen können, dass, um glaubwürdig zu erscheinen, die
Erzählung dem Teufel nichts seiner vorauszusetzenden Klug-
heit widersprechendes zuschreiben dürfte 13). Nun ist al-
lerdings die erste Versuchung durch den Hunger nicht so
übel motivirt; schlug diese bei Jesu nicht an, so musste
der Teufel als kluger Taktiker eine noch lockendere Ver-
suchung bereit haben: statt dessen aber finden wir nun
(bei Matthäus) den Vorschlag zu dem halsbrechenden Un-
ternehmen, sich von der Tempelzinne herabzustürzen, wor-
nach es den, welcher die Steinverwandlung ausgeschlagen,
noch weniger gelüsten konnte, und als auch dieser Vor-
schlag keinen Anklang gefunden, folgt zum Schlusse (bei
Lukas ist diess die zweite, die zuvorgenannte die dritte
Versuchung) eine Zumuthung, welche jeder fromme Israe-
lit ungesäumt mit Abscheu zurückweisen musste, den Teu-
fel fussfällig zu verehren. Eine so ungeschickte Auswahl
und Anordnung der Versuchungen hat die meisten neue-
ren Erklärer bedenklich gemacht 14).

Da die drei Versuchungen an drei verschiedenen,
selbst entlegenen Orten vorfallen, so fragt es sich, wie Je-
sus mit dem Teufel von einem zum andern gekommen sei?
Diese Ortsveränderung haben selbst Orthodoxe ganz natür-
lich zugehen lassen, indem sie annahmen, Jesus sei ohne-
hin auf der Reise gewesen und der Teufel ihm nachge-
folgt 15). Allein die Ausdrücke: paralambanei auton o
diabolos bei Matthäus, anagagon und egage bei Lukas,
deuten unverkennbar auf eine vom Teufel eigens veranlasste
Ortsveränderung, und da ohnehin der Zug bei Lukas (V, 5.),
der Teufel habe Jesu alle Reiche der Welt en sigme khronou

13) Paulus, a. a. O. S. 376.
14) s. besonders Schmidt a. a. O.
15) Hess, Geschichte Jesu, 1, 124.

Zweiter Abschnitt.
persönlich zu erscheinen. — In Bezug auf die einzelnen
Versuchungen wird man dem Kanon seinen Beifall nicht
versagen können, daſs, um glaubwürdig zu erscheinen, die
Erzählung dem Teufel nichts seiner vorauszusetzenden Klug-
heit widersprechendes zuschreiben dürfte 13). Nun ist al-
lerdings die erste Versuchung durch den Hunger nicht so
übel motivirt; schlug diese bei Jesu nicht an, so muſste
der Teufel als kluger Taktiker eine noch lockendere Ver-
suchung bereit haben: statt dessen aber finden wir nun
(bei Matthäus) den Vorschlag zu dem halsbrechenden Un-
ternehmen, sich von der Tempelzinne herabzustürzen, wor-
nach es den, welcher die Steinverwandlung ausgeschlagen,
noch weniger gelüsten konnte, und als auch dieser Vor-
schlag keinen Anklang gefunden, folgt zum Schlusse (bei
Lukas ist dieſs die zweite, die zuvorgenannte die dritte
Versuchung) eine Zumuthung, welche jeder fromme Israë-
lit ungesäumt mit Abscheu zurückweisen muſste, den Teu-
fel fuſsfällig zu verehren. Eine so ungeschickte Auswahl
und Anordnung der Versuchungen hat die meisten neue-
ren Erklärer bedenklich gemacht 14).

Da die drei Versuchungen an drei verschiedenen,
selbst entlegenen Orten vorfallen, so fragt es sich, wie Je-
sus mit dem Teufel von einem zum andern gekommen sei?
Diese Ortsveränderung haben selbst Orthodoxe ganz natür-
lich zugehen lassen, indem sie annahmen, Jesus sei ohne-
hin auf der Reise gewesen und der Teufel ihm nachge-
folgt 15). Allein die Ausdrücke: παραλαμβάνει αὐτὸν ὁ
διάβολος bei Matthäus, ἀναγαγὼν und ἤγαγε bei Lukas,
deuten unverkennbar auf eine vom Teufel eigens veranlaſste
Ortsveränderung, und da ohnehin der Zug bei Lukas (V, 5.),
der Teufel habe Jesu alle Reiche der Welt ἐν ςιγμῇ χρόνου

13) Paulus, a. a. O. S. 376.
14) s. besonders Schmidt a. a. O.
15) Hess, Geschichte Jesu, 1, 124.
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[408/0432] Zweiter Abschnitt. persönlich zu erscheinen. — In Bezug auf die einzelnen Versuchungen wird man dem Kanon seinen Beifall nicht versagen können, daſs, um glaubwürdig zu erscheinen, die Erzählung dem Teufel nichts seiner vorauszusetzenden Klug- heit widersprechendes zuschreiben dürfte 13). Nun ist al- lerdings die erste Versuchung durch den Hunger nicht so übel motivirt; schlug diese bei Jesu nicht an, so muſste der Teufel als kluger Taktiker eine noch lockendere Ver- suchung bereit haben: statt dessen aber finden wir nun (bei Matthäus) den Vorschlag zu dem halsbrechenden Un- ternehmen, sich von der Tempelzinne herabzustürzen, wor- nach es den, welcher die Steinverwandlung ausgeschlagen, noch weniger gelüsten konnte, und als auch dieser Vor- schlag keinen Anklang gefunden, folgt zum Schlusse (bei Lukas ist dieſs die zweite, die zuvorgenannte die dritte Versuchung) eine Zumuthung, welche jeder fromme Israë- lit ungesäumt mit Abscheu zurückweisen muſste, den Teu- fel fuſsfällig zu verehren. Eine so ungeschickte Auswahl und Anordnung der Versuchungen hat die meisten neue- ren Erklärer bedenklich gemacht 14). Da die drei Versuchungen an drei verschiedenen, selbst entlegenen Orten vorfallen, so fragt es sich, wie Je- sus mit dem Teufel von einem zum andern gekommen sei? Diese Ortsveränderung haben selbst Orthodoxe ganz natür- lich zugehen lassen, indem sie annahmen, Jesus sei ohne- hin auf der Reise gewesen und der Teufel ihm nachge- folgt 15). Allein die Ausdrücke: παραλαμβάνει αὐτὸν ὁ διάβολος bei Matthäus, ἀναγαγὼν und ἤγαγε bei Lukas, deuten unverkennbar auf eine vom Teufel eigens veranlaſste Ortsveränderung, und da ohnehin der Zug bei Lukas (V, 5.), der Teufel habe Jesu alle Reiche der Welt ἐν ςιγμῇ χρόνου 13) Paulus, a. a. O. S. 376. 14) s. besonders Schmidt a. a. O. 15) Hess, Geschichte Jesu, 1, 124.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/432>, abgerufen am 25.11.2024.