und nunmehr zu einer heiligen Übung aufmunterte, durch welche auch die Gottesmänner des alten Bundes sich ge- läutert und göttlicher Anschauungen würdig gemacht hat- ten. Jenem pneuma aber konnte nicht verborgen sein, dass gerade an diesem Fasten der Satan Jesum ergreifen und den dadurch hervorgerufenen Hunger zum Fürsprecher sei- ner Versuchung werde nehmen wollen. Und war nun in diesem Falle das Fasten nicht eine Art von Herausforde- rung des Satans, eine Vermessenheit, wie sie auch dem seiner selbst Gewissesten übel ansteht 7)?
Nun aber der persönlich erscheinende Teufel mit sei- nen Versuchungen ist der eigentliche Stein des Anstosses in der vorliegenden Erzählung. Wenn es auch einen per- sönlichen Teufel geben sollte, sagt man, so kann er doch nicht sichtbar erscheinen, und wenn auch diess, so wird er sich schwerlich so benehmen, wie er sich nach unsrer Erzählung benommen haben müsste. Indess, schon mit der Existenz des Teufels verhält es sich wie mit der der En- gel, dass selbst der Offenbarungsglaubige an derselben aus dem Grunde irre werden kann, weil diese Vorstellung nicht rein auf dem Boden des Offenbarungsvolks gewachsen, son- dern im Exil aus profanen Gebieten herüberverpflanzt wor- den ist 8). Ohnehin aber für diejenigen unter den Zeitge- nossen, welche sich der Bildung des Jahrhunderts nicht verschlossen haben, ist die Existenz eines Teufels im höch- sten Grade zweifelhaft geworden. Auch in Bezug auf diese wie auf die Engelvorstellung kann als Interpret der neue- ren Bildung Schleiermacher gelten, wenn er auf der einen
7)Usteri, über den Täufer Johannes, die Taufe und Versuchung Christi. In Ullmann's und Umbreit's theol. Studien und Kri- tiken, zweiten Jahrgangs (1829) drittes Heft, S. 450.
8)de Wette, bibl. Dogmatik, §. 171; Gramberg, Grundzüge ei- ner Engellehre des A. T. s, §. 5. In Winer's Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1. Bd. S. 182 ff.
Zweiter Abschnitt.
und nunmehr zu einer heiligen Übung aufmunterte, durch welche auch die Gottesmänner des alten Bundes sich ge- läutert und göttlicher Anschauungen würdig gemacht hat- ten. Jenem πνεῦμα aber konnte nicht verborgen sein, daſs gerade an diesem Fasten der Satan Jesum ergreifen und den dadurch hervorgerufenen Hunger zum Fürsprecher sei- ner Versuchung werde nehmen wollen. Und war nun in diesem Falle das Fasten nicht eine Art von Herausforde- rung des Satans, eine Vermessenheit, wie sie auch dem seiner selbst Gewissesten übel ansteht 7)?
Nun aber der persönlich erscheinende Teufel mit sei- nen Versuchungen ist der eigentliche Stein des Anstoſses in der vorliegenden Erzählung. Wenn es auch einen per- sönlichen Teufel geben sollte, sagt man, so kann er doch nicht sichtbar erscheinen, und wenn auch dieſs, so wird er sich schwerlich so benehmen, wie er sich nach unsrer Erzählung benommen haben müſste. Indeſs, schon mit der Existenz des Teufels verhält es sich wie mit der der En- gel, daſs selbst der Offenbarungsglaubige an derselben aus dem Grunde irre werden kann, weil diese Vorstellung nicht rein auf dem Boden des Offenbarungsvolks gewachsen, son- dern im Exil aus profanen Gebieten herüberverpflanzt wor- den ist 8). Ohnehin aber für diejenigen unter den Zeitge- nossen, welche sich der Bildung des Jahrhunderts nicht verschlossen haben, ist die Existenz eines Teufels im höch- sten Grade zweifelhaft geworden. Auch in Bezug auf diese wie auf die Engelvorstellung kann als Interpret der neue- ren Bildung Schleiermacher gelten, wenn er auf der einen
7)Usteri, über den Täufer Johannes, die Taufe und Versuchung Christi. In Ullmann's und Umbreit's theol. Studien und Kri- tiken, zweiten Jahrgangs (1829) drittes Heft, S. 450.
8)de Wette, bibl. Dogmatik, §. 171; Gramberg, Grundzüge ei- ner Engellehre des A. T. s, §. 5. In Winer's Zeitschrift für wissenschaftliche Theologie, 1. Bd. S. 182 ff.
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Zweiter Abschnitt.
und nunmehr zu einer heiligen Übung aufmunterte, durch
welche auch die Gottesmänner des alten Bundes sich ge-
läutert und göttlicher Anschauungen würdig gemacht hat-
ten. Jenem πνεῦμα aber konnte nicht verborgen sein, daſs
gerade an diesem Fasten der Satan Jesum ergreifen und
den dadurch hervorgerufenen Hunger zum Fürsprecher sei-
ner Versuchung werde nehmen wollen. Und war nun in
diesem Falle das Fasten nicht eine Art von Herausforde-
rung des Satans, eine Vermessenheit, wie sie auch dem
seiner selbst Gewissesten übel ansteht 7)?
Nun aber der persönlich erscheinende Teufel mit sei-
nen Versuchungen ist der eigentliche Stein des Anstoſses
in der vorliegenden Erzählung. Wenn es auch einen per-
sönlichen Teufel geben sollte, sagt man, so kann er doch
nicht sichtbar erscheinen, und wenn auch dieſs, so wird
er sich schwerlich so benehmen, wie er sich nach unsrer
Erzählung benommen haben müſste. Indeſs, schon mit der
Existenz des Teufels verhält es sich wie mit der der En-
gel, daſs selbst der Offenbarungsglaubige an derselben aus
dem Grunde irre werden kann, weil diese Vorstellung nicht
rein auf dem Boden des Offenbarungsvolks gewachsen, son-
dern im Exil aus profanen Gebieten herüberverpflanzt wor-
den ist 8). Ohnehin aber für diejenigen unter den Zeitge-
nossen, welche sich der Bildung des Jahrhunderts nicht
verschlossen haben, ist die Existenz eines Teufels im höch-
sten Grade zweifelhaft geworden. Auch in Bezug auf diese
wie auf die Engelvorstellung kann als Interpret der neue-
ren Bildung Schleiermacher gelten, wenn er auf der einen
7) Usteri, über den Täufer Johannes, die Taufe und Versuchung
Christi. In Ullmann's und Umbreit's theol. Studien und Kri-
tiken, zweiten Jahrgangs (1829) drittes Heft, S. 450.
8) de Wette, bibl. Dogmatik, §. 171; Gramberg, Grundzüge ei-
ner Engellehre des A. T. s, §. 5. In Winer's Zeitschrift für
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/430>, abgerufen am 22.11.2024.
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