Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. selbst dafür erklärt war, nicht als Messias, sondern blosals Israelite, der sich zur Pflicht macht, jeder seine Na- tion betreffenden göttlichen Verordnung nachzukommen 2). Allein man muss hier wohl unterscheiden: negativ, nichts Messianisches zu thun, kein Vorrecht des Messias auszu- üben, ehe er feierlich dafür erklärt wäre, das ziemte Je- su; auch positiv allen den Ordnungen sich zu unterwer- fen, welche jeder Israelit zu befolgen hatte: aber einen neuaufgekommenen Ritus mitmachen, welcher die Erwar- tung eines andern künftigen Messias aussprach, das konn- te der, welcher sich bewusst war, selbst der gegenwärtige Messias zu sein, ohne Simulation nicht. Mit Recht haben daher neuere Theologen zugegeben, dass Jesus, als er zu Johannes kam, um sich taufen zu lassen, sich noch nicht entschieden als den Messias gedacht haben könne 3). Frei- lich fassen sie diese Ungewissheit nur als das Sträuben der Bescheidenheit auf, indem namentlich Paulus erin- nert, dass Jesus, unerachtet er von seinen Eltern sei- ne messianische Bestimmung vernommen, und an diesen ersten Anstoss sich in den äusseren Ereignissen wie in sei- ner innern Entwicklung Manches günstig angereiht hatte, doch sich nicht habe übereilen wollen, das ihm gleichsam auf- gedrungene Prädikat sich beizulegen. Allein, sieht man in den bisherigen Erzählungen von Jesu eine Geschichte, und zwar, wie man dann nicht anders kann, eine überna- türliche: so musste der von Engeln Angekündigte, übernatür- lich Gezeugte, durch Huldigungen von Magiern und Propheten in der Welt Aufgenommene, der schon im zwölften Jahre den Tempel als seines Vaters Haus kannte, längst über alle Skrupel einer falschen Bescheidenheit hinaus von seiner Messianität überzeugt sein; glaubt man dagegen die Kindheitsgeschichte kritisch auflösen zu können: so sind damit alle Veranlas- 2) Hess, Geschichte Jesu, 1. Bd. S. 118 f. Anmerk. 3) Paulus, a. a. O. S. 362 ff. 367. Hase, Leben Jesu, §. 48.
Zweiter Abschnitt. selbst dafür erklärt war, nicht als Messias, sondern blosals Israëlite, der sich zur Pflicht macht, jeder seine Na- tion betreffenden göttlichen Verordnung nachzukommen 2). Allein man muſs hier wohl unterscheiden: negativ, nichts Messianisches zu thun, kein Vorrecht des Messias auszu- üben, ehe er feierlich dafür erklärt wäre, das ziemte Je- su; auch positiv allen den Ordnungen sich zu unterwer- fen, welche jeder Israëlit zu befolgen hatte: aber einen neuaufgekommenen Ritus mitmachen, welcher die Erwar- tung eines andern künftigen Messias aussprach, das konn- te der, welcher sich bewuſst war, selbst der gegenwärtige Messias zu sein, ohne Simulation nicht. Mit Recht haben daher neuere Theologen zugegeben, daſs Jesus, als er zu Johannes kam, um sich taufen zu lassen, sich noch nicht entschieden als den Messias gedacht haben könne 3). Frei- lich fassen sie diese Ungewiſsheit nur als das Sträuben der Bescheidenheit auf, indem namentlich Paulus erin- nert, daſs Jesus, unerachtet er von seinen Eltern sei- ne messianische Bestimmung vernommen, und an diesen ersten Anstoſs sich in den äusseren Ereignissen wie in sei- ner innern Entwicklung Manches günstig angereiht hatte, doch sich nicht habe übereilen wollen, das ihm gleichsam auf- gedrungene Prädikat sich beizulegen. Allein, sieht man in den bisherigen Erzählungen von Jesu eine Geschichte, und zwar, wie man dann nicht anders kann, eine überna- türliche: so muſste der von Engeln Angekündigte, übernatür- lich Gezeugte, durch Huldigungen von Magiern und Propheten in der Welt Aufgenommene, der schon im zwölften Jahre den Tempel als seines Vaters Haus kannte, längst über alle Skrupel einer falschen Bescheidenheit hinaus von seiner Messianität überzeugt sein; glaubt man dagegen die Kindheitsgeschichte kritisch auflösen zu können: so sind damit alle Veranlas- 2) Hess, Geschichte Jesu, 1. Bd. S. 118 f. Anmerk. 3) Paulus, a. a. O. S. 362 ff. 367. Hase, Leben Jesu, §. 48.
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Zweiter Abschnitt.
selbst dafür erklärt war, nicht als Messias, sondern blos
als Israëlite, der sich zur Pflicht macht, jeder seine Na-
tion betreffenden göttlichen Verordnung nachzukommen 2).
Allein man muſs hier wohl unterscheiden: negativ, nichts
Messianisches zu thun, kein Vorrecht des Messias auszu-
üben, ehe er feierlich dafür erklärt wäre, das ziemte Je-
su; auch positiv allen den Ordnungen sich zu unterwer-
fen, welche jeder Israëlit zu befolgen hatte: aber einen
neuaufgekommenen Ritus mitmachen, welcher die Erwar-
tung eines andern künftigen Messias aussprach, das konn-
te der, welcher sich bewuſst war, selbst der gegenwärtige
Messias zu sein, ohne Simulation nicht. Mit Recht haben
daher neuere Theologen zugegeben, daſs Jesus, als er zu
Johannes kam, um sich taufen zu lassen, sich noch nicht
entschieden als den Messias gedacht haben könne 3). Frei-
lich fassen sie diese Ungewiſsheit nur als das Sträuben
der Bescheidenheit auf, indem namentlich Paulus erin-
nert, daſs Jesus, unerachtet er von seinen Eltern sei-
ne messianische Bestimmung vernommen, und an diesen
ersten Anstoſs sich in den äusseren Ereignissen wie in sei-
ner innern Entwicklung Manches günstig angereiht hatte,
doch sich nicht habe übereilen wollen, das ihm gleichsam auf-
gedrungene Prädikat sich beizulegen. Allein, sieht man
in den bisherigen Erzählungen von Jesu eine Geschichte,
und zwar, wie man dann nicht anders kann, eine überna-
türliche: so muſste der von Engeln Angekündigte, übernatür-
lich Gezeugte, durch Huldigungen von Magiern und Propheten
in der Welt Aufgenommene, der schon im zwölften Jahre den
Tempel als seines Vaters Haus kannte, längst über alle Skrupel
einer falschen Bescheidenheit hinaus von seiner Messianität
überzeugt sein; glaubt man dagegen die Kindheitsgeschichte
kritisch auflösen zu können: so sind damit alle Veranlas-
2) Hess, Geschichte Jesu, 1. Bd. S. 118 f. Anmerk.
3) Paulus, a. a. O. S. 362 ff. 367. Hase, Leben Jesu, §. 48.
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