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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erstes Kapitel. §. 42.
das auffallende Gewicht erklären, welches das vierte Evan-
gelium auf die marturia Ioannou legt 35).

Welche von beiden unverträglichen Angaben über das
Verhältniss des Täufers zu Jesu als die unhistorische auf-
zugeben sei, diese Frage hätten wir zwar mit ziemlicher
Sicherheit durch den allgemeinen Kanon entscheiden kön-
nen, dass, wo in Erzählungen, welche die Tendenz haben,
eine Person oder Sache zu verherrlichen, zwei widerstrei-
tende Nachrichten sich finden, jedesmal diejenige, welche
diesem Zwecke am meisten entspricht, die am wenigsten
historische ist, weil, wenn ihr zufolge der ursprüngliche
Thatbestand so herrlich gewesen wäre, die Entstehung je-
ner andern minder glänzenden Darstellung sich nicht be-
greifen liesse; wie hier, wenn in der That Johannes Je-
sum so frühe schon anerkannte, unerklärlich ist, wie man
dazu kommen konnte, eine Erzählung auszubilden, welcher
zufolge er noch sehr spät über Jesum im Ungewissen ge-
wesen wäre. Nun wir aber durch Prüfung der johannei-
schen Nachrichten in ihren einzelnen Zügen zu der Ein-
sicht gelangt sind, dass sie sich selbst widersprechen und
sich in sich selber auflösen: so wird dieses unabhängig von
jenem Kanon gefundene Resultat demselben zur Bestäti-
gung dienen.

Indessen, was sich uns bis jetzt ergeben hat, ist nur
das Negative, dass Alles, was auf jene frühzeitige Aner-
kennung der Messianität Jesu von Seiten des Täufers Be-
ziehung hat, keinen Anspruch darauf machen kann, als
historisch festgehalten zu werden: über das Positive wis-
sen wir damit noch nichts, ob nun statt dessen die späte
Botschaft aus dem Gefängniss als das zum Grund liegende

35) Sehr richtig hat diess schon Storr bemerkt und ausgeführt,
über den Zweck der evangelischen Geschichte und der Briefe
Johannis, S. 5 ff. 24 f. Vergl. auch Hug, Einleitung in das
N. T. 2, S. 190 f. (3te Ausg.)

Erstes Kapitel. §. 42.
das auffallende Gewicht erklären, welches das vierte Evan-
gelium auf die μαρτυρία Ἰωάννου legt 35).

Welche von beiden unverträglichen Angaben über das
Verhältniſs des Täufers zu Jesu als die unhistorische auf-
zugeben sei, diese Frage hätten wir zwar mit ziemlicher
Sicherheit durch den allgemeinen Kanon entscheiden kön-
nen, daſs, wo in Erzählungen, welche die Tendenz haben,
eine Person oder Sache zu verherrlichen, zwei widerstrei-
tende Nachrichten sich finden, jedesmal diejenige, welche
diesem Zwecke am meisten entspricht, die am wenigsten
historische ist, weil, wenn ihr zufolge der ursprüngliche
Thatbestand so herrlich gewesen wäre, die Entstehung je-
ner andern minder glänzenden Darstellung sich nicht be-
greifen lieſse; wie hier, wenn in der That Johannes Je-
sum so frühe schon anerkannte, unerklärlich ist, wie man
dazu kommen konnte, eine Erzählung auszubilden, welcher
zufolge er noch sehr spät über Jesum im Ungewissen ge-
wesen wäre. Nun wir aber durch Prüfung der johannei-
schen Nachrichten in ihren einzelnen Zügen zu der Ein-
sicht gelangt sind, daſs sie sich selbst widersprechen und
sich in sich selber auflösen: so wird dieses unabhängig von
jenem Kanon gefundene Resultat demselben zur Bestäti-
gung dienen.

Indessen, was sich uns bis jetzt ergeben hat, ist nur
das Negative, daſs Alles, was auf jene frühzeitige Aner-
kennung der Messianität Jesu von Seiten des Täufers Be-
ziehung hat, keinen Anspruch darauf machen kann, als
historisch festgehalten zu werden: über das Positive wis-
sen wir damit noch nichts, ob nun statt dessen die späte
Botschaft aus dem Gefängniſs als das zum Grund liegende

35) Sehr richtig hat diess schon Storr bemerkt und ausgeführt,
über den Zweck der evangelischen Geschichte und der Briefe
Johannis, S. 5 ff. 24 f. Vergl. auch Hug, Einleitung in das
N. T. 2, S. 190 f. (3te Ausg.)
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[351/0375] Erstes Kapitel. §. 42. das auffallende Gewicht erklären, welches das vierte Evan- gelium auf die μαρτυρία Ἰωάννου legt 35). Welche von beiden unverträglichen Angaben über das Verhältniſs des Täufers zu Jesu als die unhistorische auf- zugeben sei, diese Frage hätten wir zwar mit ziemlicher Sicherheit durch den allgemeinen Kanon entscheiden kön- nen, daſs, wo in Erzählungen, welche die Tendenz haben, eine Person oder Sache zu verherrlichen, zwei widerstrei- tende Nachrichten sich finden, jedesmal diejenige, welche diesem Zwecke am meisten entspricht, die am wenigsten historische ist, weil, wenn ihr zufolge der ursprüngliche Thatbestand so herrlich gewesen wäre, die Entstehung je- ner andern minder glänzenden Darstellung sich nicht be- greifen lieſse; wie hier, wenn in der That Johannes Je- sum so frühe schon anerkannte, unerklärlich ist, wie man dazu kommen konnte, eine Erzählung auszubilden, welcher zufolge er noch sehr spät über Jesum im Ungewissen ge- wesen wäre. Nun wir aber durch Prüfung der johannei- schen Nachrichten in ihren einzelnen Zügen zu der Ein- sicht gelangt sind, daſs sie sich selbst widersprechen und sich in sich selber auflösen: so wird dieses unabhängig von jenem Kanon gefundene Resultat demselben zur Bestäti- gung dienen. Indessen, was sich uns bis jetzt ergeben hat, ist nur das Negative, daſs Alles, was auf jene frühzeitige Aner- kennung der Messianität Jesu von Seiten des Täufers Be- ziehung hat, keinen Anspruch darauf machen kann, als historisch festgehalten zu werden: über das Positive wis- sen wir damit noch nichts, ob nun statt dessen die späte Botschaft aus dem Gefängniſs als das zum Grund liegende 35) Sehr richtig hat diess schon Storr bemerkt und ausgeführt, über den Zweck der evangelischen Geschichte und der Briefe Johannis, S. 5 ff. 24 f. Vergl. auch Hug, Einleitung in das N. T. 2, S. 190 f. (3te Ausg.)

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/375>, abgerufen am 25.11.2024.