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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Erstes Kapitel. §. 42.
strenge Ascet, der sich von Heuschrecken und Waldhonig
nährte und auch seinen Schülern harte Fasten vorschrieb,
der finstere, drohende, vom Geist des Elias beseelte Buss-
prediger, -- wie hätte er sich mit Jesu befreunden kön-
nen, der in Allem das Widerspiel von ihm war? Gewiss
musste er sich, so gut wie seine Schüler (Matth. 9, 14.),
an der liberalen Weise Jesu stossen, und dadurch gehin-
dert werden, in ihm den Messias anzuerkennen. Starrer
ist nichts als ascetische Vorurtheile: wer, wie der Täufer,
es zur Frömmigkeit rechnet, zu fasten und den Leib zu
kasteien, der wird denjenigen nie als einen in göttlichen
Dingen höher Stehenden anerkennen, welcher sich über
jene Ascese hinwegsezt. Ein solcher beschränkterer Stand-
punkt, wie ihn Johannes einnahm, wird den höheren, wie
Jesus auf einem stand, niemals begreifen, während der
höhere wohl den niedrigeren sich zurechtzulegen weiss;
daher konnte zwar Jesus den Täufer in seiner Stelle schä-
zen und anerkennen, niemals aber dieser jenen so über
sich stellen, wie er namentlich nach dem vierten Evange-
lium gethan haben soll. Besonders häufig hört man die
Stellung, welche sich der johanneische Täufer 3, 30. durch
die Erklärung giebt, dass er abnehmen, Jesus aber zuneh-
men müsse, als ein Beispiel der edelsten und erhabensten
Resignation preisen 31). Wir geben zu, diese Darstellung
mag schön sein: aber wahr ist sie nicht. Es wäre das
einzige Beispiel in der Geschichte, dass ein welthistorischer
Mann dem, welcher nach ihm kommt, um ihn zu verdun-
keln und überflüssig zu machen, die Zügel des Theils der
Geschichte, den er bis dahin regiert hatte, so gutwillig
abgetreten hätte. Es geht bei Individuen dieser Schritt
nicht minder hart als bei Völkern, und diess nicht blos in
Folge eines Fehlers, wie Egoismus und Ehrgeiz, so dass
man (aber auch dann nur aus Vorurtheil) bei einem Man-

31) s. statt Aller Greiling, Leben Jesu von Nazaret, S. 132 f.

Erstes Kapitel. §. 42.
strenge Ascet, der sich von Heuschrecken und Waldhonig
nährte und auch seinen Schülern harte Fasten vorschrieb,
der finstere, drohende, vom Geist des Elias beseelte Buſs-
prediger, — wie hätte er sich mit Jesu befreunden kön-
nen, der in Allem das Widerspiel von ihm war? Gewiſs
muſste er sich, so gut wie seine Schüler (Matth. 9, 14.),
an der liberalen Weise Jesu stoſsen, und dadurch gehin-
dert werden, in ihm den Messias anzuerkennen. Starrer
ist nichts als ascetische Vorurtheile: wer, wie der Täufer,
es zur Frömmigkeit rechnet, zu fasten und den Leib zu
kasteien, der wird denjenigen nie als einen in göttlichen
Dingen höher Stehenden anerkennen, welcher sich über
jene Ascese hinwegsezt. Ein solcher beschränkterer Stand-
punkt, wie ihn Johannes einnahm, wird den höheren, wie
Jesus auf einem stand, niemals begreifen, während der
höhere wohl den niedrigeren sich zurechtzulegen weiſs;
daher konnte zwar Jesus den Täufer in seiner Stelle schä-
zen und anerkennen, niemals aber dieser jenen so über
sich stellen, wie er namentlich nach dem vierten Evange-
lium gethan haben soll. Besonders häufig hört man die
Stellung, welche sich der johanneische Täufer 3, 30. durch
die Erklärung giebt, daſs er abnehmen, Jesus aber zuneh-
men müsse, als ein Beispiel der edelsten und erhabensten
Resignation preisen 31). Wir geben zu, diese Darstellung
mag schön sein: aber wahr ist sie nicht. Es wäre das
einzige Beispiel in der Geschichte, daſs ein welthistorischer
Mann dem, welcher nach ihm kommt, um ihn zu verdun-
keln und überflüssig zu machen, die Zügel des Theils der
Geschichte, den er bis dahin regiert hatte, so gutwillig
abgetreten hätte. Es geht bei Individuen dieser Schritt
nicht minder hart als bei Völkern, und dieſs nicht blos in
Folge eines Fehlers, wie Egoismus und Ehrgeiz, so daſs
man (aber auch dann nur aus Vorurtheil) bei einem Man-

31) s. statt Aller Greiling, Leben Jesu von Nazaret, S. 132 f.
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[347/0371] Erstes Kapitel. §. 42. strenge Ascet, der sich von Heuschrecken und Waldhonig nährte und auch seinen Schülern harte Fasten vorschrieb, der finstere, drohende, vom Geist des Elias beseelte Buſs- prediger, — wie hätte er sich mit Jesu befreunden kön- nen, der in Allem das Widerspiel von ihm war? Gewiſs muſste er sich, so gut wie seine Schüler (Matth. 9, 14.), an der liberalen Weise Jesu stoſsen, und dadurch gehin- dert werden, in ihm den Messias anzuerkennen. Starrer ist nichts als ascetische Vorurtheile: wer, wie der Täufer, es zur Frömmigkeit rechnet, zu fasten und den Leib zu kasteien, der wird denjenigen nie als einen in göttlichen Dingen höher Stehenden anerkennen, welcher sich über jene Ascese hinwegsezt. Ein solcher beschränkterer Stand- punkt, wie ihn Johannes einnahm, wird den höheren, wie Jesus auf einem stand, niemals begreifen, während der höhere wohl den niedrigeren sich zurechtzulegen weiſs; daher konnte zwar Jesus den Täufer in seiner Stelle schä- zen und anerkennen, niemals aber dieser jenen so über sich stellen, wie er namentlich nach dem vierten Evange- lium gethan haben soll. Besonders häufig hört man die Stellung, welche sich der johanneische Täufer 3, 30. durch die Erklärung giebt, daſs er abnehmen, Jesus aber zuneh- men müsse, als ein Beispiel der edelsten und erhabensten Resignation preisen 31). Wir geben zu, diese Darstellung mag schön sein: aber wahr ist sie nicht. Es wäre das einzige Beispiel in der Geschichte, daſs ein welthistorischer Mann dem, welcher nach ihm kommt, um ihn zu verdun- keln und überflüssig zu machen, die Zügel des Theils der Geschichte, den er bis dahin regiert hatte, so gutwillig abgetreten hätte. Es geht bei Individuen dieser Schritt nicht minder hart als bei Völkern, und dieſs nicht blos in Folge eines Fehlers, wie Egoismus und Ehrgeiz, so daſs man (aber auch dann nur aus Vorurtheil) bei einem Man- 31) s. statt Aller Greiling, Leben Jesu von Nazaret, S. 132 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/371>, abgerufen am 25.11.2024.