Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Zweiter Abschnitt. solche Zweifel als undenkbar erscheinen müssen, sondernwir erklären jezt geradezu, dass diesen Zweifeln gar kei- ne Gewissheit vorangegangen sein kann. Es ist bereits der Schwierigkeit erwähnt, welche die Angabe des Mat- thäus verursacht, Johannes habe die zwei Jünger abgesandt akousas ta erga tou Khrisou, oder nach Lukas, weil seine Schü- ler ihm apeggeilan peri panton touton -- es war aber im unmittelbar Vorhergehenden eine Todtenerweckung und eine Krankenheilung erzählt. Früher also zwar, ehe noch Jesus etwas Messianisches gethan hatte, soll Johannes von seiner Messianität überzeugt gewesen sein, nun aber Jesus anfieng, durch Wunder, wie man sie vom Messias erwar- tete, sich als solchen zu legitimiren, sollen ihn Zweifel an- gewandelt haben? Diess ist so gegen alle psychologische Möglichkeit, dass mich wundert, wie nicht Dr. Paulus oder ein andrer Erklärer, welcher in der Psychologie stark ist, und in der Wortkritik nicht unbeherzt, schon auf die Ver- muthung gekommen ist, es sei vielleicht bei Matthäus V. 2. eine Negation ausgefallen, und sollte eigentlich heissen: o de Ioannes ouk akousas en to desmoterio ta erga tou Khrisou k. t. l. Dann wäre auf Einmal Alles eher zu begreifen: Johannes war zwar früher von der Messianität Jesu über- zeugt gewesen, nun aber in seinem Gefängniss kam ihm von Jesu Thaten nichts mehr zu Ohren, und indem er ihn unthätig glaubte, stiegen ihm Zweifel auf. Gewiss, hatte Johannes vorher Jesum für den Messias gehalten, so konnte nur etwa die Unkunde von dessen Wunderwerken ihm zu Zweifeln Veranlassung geben: da es aber gerade die Kunde von diesen Thaten war, welche ihn ungewiss mach- te, so kann er nicht vorher schon von Jesu Messianität überzeugt gewesen sein. Wie konnte er aber über Jesu Messianität jetzt unge- Zweiter Abschnitt. solche Zweifel als undenkbar erscheinen müssen, sondernwir erklären jezt geradezu, daſs diesen Zweifeln gar kei- ne Gewiſsheit vorangegangen sein kann. Es ist bereits der Schwierigkeit erwähnt, welche die Angabe des Mat- thäus verursacht, Johannes habe die zwei Jünger abgesandt ἀκούσας τὰ ἔργα τοῦ Χριςοῦ, oder nach Lukas, weil seine Schü- ler ihm ἀπήγγειλαν περὶ πάντων τούτων — es war aber im unmittelbar Vorhergehenden eine Todtenerweckung und eine Krankenheilung erzählt. Früher also zwar, ehe noch Jesus etwas Messianisches gethan hatte, soll Johannes von seiner Messianität überzeugt gewesen sein, nun aber Jesus anfieng, durch Wunder, wie man sie vom Messias erwar- tete, sich als solchen zu legitimiren, sollen ihn Zweifel an- gewandelt haben? Dieſs ist so gegen alle psychologische Möglichkeit, daſs mich wundert, wie nicht Dr. Paulus oder ein andrer Erklärer, welcher in der Psychologie stark ist, und in der Wortkritik nicht unbeherzt, schon auf die Ver- muthung gekommen ist, es sei vielleicht bei Matthäus V. 2. eine Negation ausgefallen, und sollte eigentlich heiſsen: ὁ δὲ Ἰωάννης ούκ ἀκούσας ἐν τῷ δεσμωτηρίῳ τὰ ἔργα τοῦ Χριςοῦ κ. τ. λ. Dann wäre auf Einmal Alles eher zu begreifen: Johannes war zwar früher von der Messianität Jesu über- zeugt gewesen, nun aber in seinem Gefängniſs kam ihm von Jesu Thaten nichts mehr zu Ohren, und indem er ihn unthätig glaubte, stiegen ihm Zweifel auf. Gewiſs, hatte Johannes vorher Jesum für den Messias gehalten, so konnte nur etwa die Unkunde von dessen Wunderwerken ihm zu Zweifeln Veranlassung geben: da es aber gerade die Kunde von diesen Thaten war, welche ihn ungewiſs mach- te, so kann er nicht vorher schon von Jesu Messianität überzeugt gewesen sein. 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Zweiter Abschnitt.
solche Zweifel als undenkbar erscheinen müssen, sondern
wir erklären jezt geradezu, daſs diesen Zweifeln gar kei-
ne Gewiſsheit vorangegangen sein kann. Es ist bereits
der Schwierigkeit erwähnt, welche die Angabe des Mat-
thäus verursacht, Johannes habe die zwei Jünger abgesandt
ἀκούσας τὰ ἔργα τοῦ Χριςοῦ, oder nach Lukas, weil seine Schü-
ler ihm ἀπήγγειλαν περὶ πάντων τούτων — es war aber im
unmittelbar Vorhergehenden eine Todtenerweckung und
eine Krankenheilung erzählt. Früher also zwar, ehe noch
Jesus etwas Messianisches gethan hatte, soll Johannes von
seiner Messianität überzeugt gewesen sein, nun aber Jesus
anfieng, durch Wunder, wie man sie vom Messias erwar-
tete, sich als solchen zu legitimiren, sollen ihn Zweifel an-
gewandelt haben? Dieſs ist so gegen alle psychologische
Möglichkeit, daſs mich wundert, wie nicht Dr. Paulus oder
ein andrer Erklärer, welcher in der Psychologie stark ist,
und in der Wortkritik nicht unbeherzt, schon auf die Ver-
muthung gekommen ist, es sei vielleicht bei Matthäus V. 2.
eine Negation ausgefallen, und sollte eigentlich heiſsen: ὁ
δὲ Ἰωάννης ούκ ἀκούσας ἐν τῷ δεσμωτηρίῳ τὰ ἔργα τοῦ Χριςοῦ
κ. τ. λ. Dann wäre auf Einmal Alles eher zu begreifen:
Johannes war zwar früher von der Messianität Jesu über-
zeugt gewesen, nun aber in seinem Gefängniſs kam ihm
von Jesu Thaten nichts mehr zu Ohren, und indem er
ihn unthätig glaubte, stiegen ihm Zweifel auf. Gewiſs,
hatte Johannes vorher Jesum für den Messias gehalten, so
konnte nur etwa die Unkunde von dessen Wunderwerken ihm
zu Zweifeln Veranlassung geben: da es aber gerade die
Kunde von diesen Thaten war, welche ihn ungewiſs mach-
te, so kann er nicht vorher schon von Jesu Messianität
überzeugt gewesen sein.
Wie konnte er aber über Jesu Messianität jetzt unge-
wiſs werden, wenn er sie nicht früher angenommen hatte?
Freilich nicht so, daſs er zu argwöhnen anfieng, Jesus
möchte wohl der Messias nicht sein; wohl aber so, daſs er
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