Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erstes Kapitel. §. 42. überzeugen, dass er Recht habe, sie auf ihn als Messiashinzuweisen. Allein wie konnte Johannes hoffen, dass seine Abgesandten Jesum zufällig im Wunderthun begrif- fen antreffen würden? Auch trafen sie ihn nicht so, nach Matthäus, sondern Jesus berief sich nach V. 4. f. nur auf das, was sie von ihm oft sehen und wovon sie überall in seiner Nähe hören könnten, und nur die augenscheinlich secundäre Erzählung des Lukas missversteht die Worte Jesu dahin, als hätte er sie nicht gebrauchen können, wenn die Johannesjünger ihn nicht mitten im Wunderthun ange- troffen hätten 4). Und dann, wenn es die Absicht des Täufers war, seine Jünger durch den Anblick der Thaten Jesu zu überführen, durfte er ihnen keine Frage an Je- sum aufgeben, mit welcher es nur auf Worte, auf eine authentische Erklärung Jesu abgesehen schien. Denn durch eine Erklärung desjenigen, an dessen Messianität sie eben zweifelten, konnte er seine Schüler nicht zu überzeugen hoffen, welche durch seine eignen Erklärungen, die ihnen sonst Alles galten, nicht überzeugt worden waren 5). Über- haupt wäre es ein wunderliches Benehmen vom Täufer ge- wesen, fremden Zweifeln seine eigenen Worte zu leihen und dadurch, wie Schleiermacher mit Recht bemerkt 6), sein früheres wiederholtes Zeugniss für Jesum zu compro- mittiren. Wie denn auch Jesus die von den Boten ihm vorgetragene Frage als von Johannes selber ausgegangen fasst (apaggeilate Ioanne, Matth. 11, 4.) und sich über dessen Ungewissheit indirekt durch Seligpreisung derer, die keinen Anstoss an ihm nehmen, beschwert (V. 6.) 7). Bleibt es somit dabei, dass Johannes nicht blos für 4) Schleiermacher, über den Lukas, S. 106 f. 5) s. Kuinöl, Comm. in Matth. S. 308. 6) a. a. O. S. 109. 7) Vergl. übrigens Calvin z. d. St.
Erstes Kapitel. §. 42. überzeugen, daſs er Recht habe, sie auf ihn als Messiashinzuweisen. Allein wie konnte Johannes hoffen, daſs seine Abgesandten Jesum zufällig im Wunderthun begrif- fen antreffen würden? Auch trafen sie ihn nicht so, nach Matthäus, sondern Jesus berief sich nach V. 4. f. nur auf das, was sie von ihm oft sehen und wovon sie überall in seiner Nähe hören könnten, und nur die augenscheinlich secundäre Erzählung des Lukas miſsversteht die Worte Jesu dahin, als hätte er sie nicht gebrauchen können, wenn die Johannesjünger ihn nicht mitten im Wunderthun ange- troffen hätten 4). Und dann, wenn es die Absicht des Täufers war, seine Jünger durch den Anblick der Thaten Jesu zu überführen, durfte er ihnen keine Frage an Je- sum aufgeben, mit welcher es nur auf Worte, auf eine authentische Erklärung Jesu abgesehen schien. Denn durch eine Erklärung desjenigen, an dessen Messianität sie eben zweifelten, konnte er seine Schüler nicht zu überzeugen hoffen, welche durch seine eignen Erklärungen, die ihnen sonst Alles galten, nicht überzeugt worden waren 5). Über- haupt wäre es ein wunderliches Benehmen vom Täufer ge- wesen, fremden Zweifeln seine eigenen Worte zu leihen und dadurch, wie Schleiermacher mit Recht bemerkt 6), sein früheres wiederholtes Zeugniſs für Jesum zu compro- mittiren. Wie denn auch Jesus die von den Boten ihm vorgetragene Frage als von Johannes selber ausgegangen faſst (ἀπαγγείλατε Ἰωάννῃ, Matth. 11, 4.) und sich über dessen Ungewiſsheit indirekt durch Seligpreisung derer, die keinen Anstoſs an ihm nehmen, beschwert (V. 6.) 7). Bleibt es somit dabei, daſs Johannes nicht blos für 4) Schleiermacher, über den Lukas, S. 106 f. 5) s. Kuinöl, Comm. in Matth. S. 308. 6) a. a. O. S. 109. 7) Vergl. übrigens Calvin z. d. St.
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Erstes Kapitel. §. 42.
überzeugen, daſs er Recht habe, sie auf ihn als Messias
hinzuweisen. Allein wie konnte Johannes hoffen, daſs
seine Abgesandten Jesum zufällig im Wunderthun begrif-
fen antreffen würden? Auch trafen sie ihn nicht so, nach
Matthäus, sondern Jesus berief sich nach V. 4. f. nur auf
das, was sie von ihm oft sehen und wovon sie überall in
seiner Nähe hören könnten, und nur die augenscheinlich
secundäre Erzählung des Lukas miſsversteht die Worte
Jesu dahin, als hätte er sie nicht gebrauchen können, wenn
die Johannesjünger ihn nicht mitten im Wunderthun ange-
troffen hätten 4). Und dann, wenn es die Absicht des
Täufers war, seine Jünger durch den Anblick der Thaten
Jesu zu überführen, durfte er ihnen keine Frage an Je-
sum aufgeben, mit welcher es nur auf Worte, auf eine
authentische Erklärung Jesu abgesehen schien. Denn durch
eine Erklärung desjenigen, an dessen Messianität sie eben
zweifelten, konnte er seine Schüler nicht zu überzeugen
hoffen, welche durch seine eignen Erklärungen, die ihnen
sonst Alles galten, nicht überzeugt worden waren 5). Über-
haupt wäre es ein wunderliches Benehmen vom Täufer ge-
wesen, fremden Zweifeln seine eigenen Worte zu leihen
und dadurch, wie Schleiermacher mit Recht bemerkt 6),
sein früheres wiederholtes Zeugniſs für Jesum zu compro-
mittiren. Wie denn auch Jesus die von den Boten ihm
vorgetragene Frage als von Johannes selber ausgegangen
faſst (ἀπαγγείλατε Ἰωάννῃ, Matth. 11, 4.) und sich über
dessen Ungewiſsheit indirekt durch Seligpreisung derer,
die keinen Anstoſs an ihm nehmen, beschwert (V. 6.) 7).
Bleibt es somit dabei, daſs Johannes nicht blos für
seine Schüler, sondern für sich selbst hat fragen lassen,
4) Schleiermacher, über den Lukas, S. 106 f.
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6) a. a. O. S. 109.
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