so kurze Dauer der Wirksamkeit des Täufers unwahr- scheinlich gefunden, da er doch eine beträchtliche Anzahl Jünger (Joh. 4, 1.), und zwar nicht blos solche, die sich nur von ihm taufen liessen, sondern von ihm besonders gebil- dete Schüler (Luc. 11, 1.) hatte, und eine eigene Partei von Anhängern hinterlassen hat (A. G. 18, 25. 19, 3.), was schwerlich das Werk von wenigen Monaten sein konnte. Es musste doch, wurde bemerkt, erst einige Zeit hingehen, bis der Täufer so bekannt wurde, dass Leute die Reise zu ihm in die Wüste unternahmen; es bedurfte Zeit, seine Lehre zu fassen, und Zeit, dass sich dieselbe, zumal sie ge- gen die gangbaren jüdischen Begriffe verstiess, erst Ein- gang verschaffen und sich festsetzen konnte; überhaupt, das hohe und dauernde Ansehen, in welches sich Johannes nach Josephus 16), wie nach den Evangelien (Matth. 14, 2. 21, 26.), bei seiner Nation gesezt hatte, liess sich nicht in so kurzer Zeit erwerben 17).
Doch, indem durch das Bisherige nur überhaupt eine längere Wirksamkeit des Täufers gefordert ist: so ist da- mit noch nicht bewiesen, dass unsre Evangelien Unrecht haben, wenn sie die Zeit seines Wirkens vor Jesu so kurz darstellen, da sie ja vielleicht, was vorne fehlt, hinten ansetzen und den Täufer nach dem Auftritt Jesu desto länger noch fortwirken lassen. Allein auch eine Verlän- gerung der Wirksamkeit des Täufers nach dieser Seite ist wenigstens in den zwei ersten Evangelien nicht zu finden. Denn nicht nur berichten diese nach Jesu Taufe über Jo- hannes nichts mehr, ausser jener Sendung zweier Jünger (Matth. 11.), die schon aus dem Gefängnisse erfolgt, son- dern es lautet Matth. 4, 12. Marc. 1, 14. ganz so, als ob während oder kurz nach dem vierzigtägigen Aufenthalt
16) Antiq. 18, 5, 2.
17) So Cludius, über die Zeit und Lebensdauer Johannis und Je- su. In Henke's Museum, 2, 3, 502 ff.
Erstes Kapitel. §. 40.
so kurze Dauer der Wirksamkeit des Täufers unwahr- scheinlich gefunden, da er doch eine beträchtliche Anzahl Jünger (Joh. 4, 1.), und zwar nicht blos solche, die sich nur von ihm taufen lieſsen, sondern von ihm besonders gebil- dete Schüler (Luc. 11, 1.) hatte, und eine eigene Partei von Anhängern hinterlassen hat (A. G. 18, 25. 19, 3.), was schwerlich das Werk von wenigen Monaten sein konnte. Es muſste doch, wurde bemerkt, erst einige Zeit hingehen, bis der Täufer so bekannt wurde, daſs Leute die Reise zu ihm in die Wüste unternahmen; es bedurfte Zeit, seine Lehre zu fassen, und Zeit, daſs sich dieselbe, zumal sie ge- gen die gangbaren jüdischen Begriffe verstieſs, erst Ein- gang verschaffen und sich festsetzen konnte; überhaupt, das hohe und dauernde Ansehen, in welches sich Johannes nach Josephus 16), wie nach den Evangelien (Matth. 14, 2. 21, 26.), bei seiner Nation gesezt hatte, lieſs sich nicht in so kurzer Zeit erwerben 17).
Doch, indem durch das Bisherige nur überhaupt eine längere Wirksamkeit des Täufers gefordert ist: so ist da- mit noch nicht bewiesen, daſs unsre Evangelien Unrecht haben, wenn sie die Zeit seines Wirkens vor Jesu so kurz darstellen, da sie ja vielleicht, was vorne fehlt, hinten ansetzen und den Täufer nach dem Auftritt Jesu desto länger noch fortwirken lassen. Allein auch eine Verlän- gerung der Wirksamkeit des Täufers nach dieser Seite ist wenigstens in den zwei ersten Evangelien nicht zu finden. Denn nicht nur berichten diese nach Jesu Taufe über Jo- hannes nichts mehr, ausser jener Sendung zweier Jünger (Matth. 11.), die schon aus dem Gefängnisse erfolgt, son- dern es lautet Matth. 4, 12. Marc. 1, 14. ganz so, als ob während oder kurz nach dem vierzigtägigen Aufenthalt
16) Antiq. 18, 5, 2.
17) So Cludius, über die Zeit und Lebensdauer Johannis und Je- su. In Henke's Museum, 2, 3, 502 ff.
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Erstes Kapitel. §. 40.
so kurze Dauer der Wirksamkeit des Täufers unwahr-
scheinlich gefunden, da er doch eine beträchtliche Anzahl
Jünger (Joh. 4, 1.), und zwar nicht blos solche, die sich nur
von ihm taufen lieſsen, sondern von ihm besonders gebil-
dete Schüler (Luc. 11, 1.) hatte, und eine eigene Partei von
Anhängern hinterlassen hat (A. G. 18, 25. 19, 3.), was
schwerlich das Werk von wenigen Monaten sein konnte.
Es muſste doch, wurde bemerkt, erst einige Zeit hingehen,
bis der Täufer so bekannt wurde, daſs Leute die Reise zu
ihm in die Wüste unternahmen; es bedurfte Zeit, seine
Lehre zu fassen, und Zeit, daſs sich dieselbe, zumal sie ge-
gen die gangbaren jüdischen Begriffe verstieſs, erst Ein-
gang verschaffen und sich festsetzen konnte; überhaupt,
das hohe und dauernde Ansehen, in welches sich Johannes
nach Josephus 16), wie nach den Evangelien (Matth. 14, 2.
21, 26.), bei seiner Nation gesezt hatte, lieſs sich nicht in
so kurzer Zeit erwerben 17).
Doch, indem durch das Bisherige nur überhaupt eine
längere Wirksamkeit des Täufers gefordert ist: so ist da-
mit noch nicht bewiesen, daſs unsre Evangelien Unrecht
haben, wenn sie die Zeit seines Wirkens vor Jesu so kurz
darstellen, da sie ja vielleicht, was vorne fehlt, hinten
ansetzen und den Täufer nach dem Auftritt Jesu desto
länger noch fortwirken lassen. Allein auch eine Verlän-
gerung der Wirksamkeit des Täufers nach dieser Seite ist
wenigstens in den zwei ersten Evangelien nicht zu finden.
Denn nicht nur berichten diese nach Jesu Taufe über Jo-
hannes nichts mehr, ausser jener Sendung zweier Jünger
(Matth. 11.), die schon aus dem Gefängnisse erfolgt, son-
dern es lautet Matth. 4, 12. Marc. 1, 14. ganz so, als ob
während oder kurz nach dem vierzigtägigen Aufenthalt
16) Antiq. 18, 5, 2.
17) So Cludius, über die Zeit und Lebensdauer Johannis und Je-
su. In Henke's Museum, 2, 3, 502 ff.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/339>, abgerufen am 24.11.2024.
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