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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Fünftes Kapitel. §. 39.
von Andern empfangen: sondern es wurde dem Göttlichen
und Übernatürlichen statt des Natürlichen und Menschli-
chen ein Unnatürliches und Dämonisches entgegengestellt,
und Jesu vorgeworfen, dass er zum Behuf seiner Wunder
in seiner Jugend die Zauberei erlernt habe. Diese Be-
schuldigung liess sich am ehesten an die Reise seiner El-
tern mit ihm nach Ägypten, in dieses uralte Land der Ma-
gie und geheimen Weisheit, knüpfen, und so gewendet
finden wir sie wirklich sowohl bei Celsus als im Talmud.
Jener lässt einen Juden unter Andrem auch das gegen Je-
sum vorbringen, er habe sich nach Ägypten um Lohn ver-
dungen, dort habe er sich einige Zauberkünste anzueignen
gewusst, und nach seiner Rückkehr um derselben willen
sich prahlerisch für einen Gott ausgegeben 12). Der Tal-
mud giebt ihm einen jüdischen Synedristen zum Lehrer,
lässt ihn mit diesem nach Ägypten reisen und von da Zau-
berformeln nach Palästina zurückbringen 13).

Der rein natürliche Gesichtspunkt für die geistige Ent-
wickelung Jesu konnte erst auf dem Boden der neuern
Bildung gefasst werden, und hier bildet den Hauptunter-
schied der Ansichten diess, ob aus den in jener Zeit gege-
benen Bildungsmomenten einseitig nur Eines herausgegrif-
fen, oder mit umfassenderem Sinne von ihrer Gesammt-

12) Orig. c. Cels. 1, 28: kai (legei) oti ou`~tos (o Iesous) dia
penian eis Aigupton mistharnesas, kakei dunameon ti-
non peiratheis, eph' ais Aiguptioi semnunontai, epan-
elthen, en tais dunamesi mega phronon, kai di autas
theon auton anegoreuse.
13) Sanhedr. f. 107, 2: -- R. Josua f. Perachja et yshv Alexan-
driam Aegypti profecti sunt -- -- yshv ex illo tempore ma-
giam exercuit, et Israelitas ad pessima quaevis perduxit.
Schabbath f. 104, 2: Traditio est, R. Elieserem dixisse ad
viros doctos: annon f. Satdae (i. e. Jesus) magiam ex Aegyp-
to adduxit per incisionem in carne sua factam?
s. Schött-
gen
, horae, 2, S. 697 ff, Eisenmenger, entdecktes Judenthum,
1, S. 149 f.

Fünftes Kapitel. §. 39.
von Andern empfangen: sondern es wurde dem Göttlichen
und Übernatürlichen statt des Natürlichen und Menschli-
chen ein Unnatürliches und Dämonisches entgegengestellt,
und Jesu vorgeworfen, daſs er zum Behuf seiner Wunder
in seiner Jugend die Zauberei erlernt habe. Diese Be-
schuldigung lieſs sich am ehesten an die Reise seiner El-
tern mit ihm nach Ägypten, in dieses uralte Land der Ma-
gie und geheimen Weisheit, knüpfen, und so gewendet
finden wir sie wirklich sowohl bei Celsus als im Talmud.
Jener läſst einen Juden unter Andrem auch das gegen Je-
sum vorbringen, er habe sich nach Ägypten um Lohn ver-
dungen, dort habe er sich einige Zauberkünste anzueignen
gewuſst, und nach seiner Rückkehr um derselben willen
sich prahlerisch für einen Gott ausgegeben 12). Der Tal-
mud giebt ihm einen jüdischen Synedristen zum Lehrer,
läſst ihn mit diesem nach Ägypten reisen und von da Zau-
berformeln nach Palästina zurückbringen 13).

Der rein natürliche Gesichtspunkt für die geistige Ent-
wickelung Jesu konnte erst auf dem Boden der neuern
Bildung gefaſst werden, und hier bildet den Hauptunter-
schied der Ansichten dieſs, ob aus den in jener Zeit gege-
benen Bildungsmomenten einseitig nur Eines herausgegrif-
fen, oder mit umfassenderem Sinne von ihrer Gesammt-

12) Orig. c. Cels. 1, 28: καὶ (λέγει) ὅτι ου῟τος (ὁ Ἰησοῦς) διὰ
πενιαν εἰς Αἴγυπτον μισϑαρνήσας, κἀκεῖ δυνάμεών τι-
νων πειραϑεὶς, ἐφ' αἷς Αἰγύπτιοι σεμνύνονται, ἐπαν-
ῆλϑεν, ἐν ταῖς δυνάμεσι μέγα φρονῶν, καὶ δἰ αὐτὰς
ϑεὸν αὑτὸν ἀνηγόρευσε.
13) Sanhedr. f. 107, 2: — R. Josua f. Perachja et ישו Alexan-
driam Aegypti profecti sunt — — ישו ex illo tempore ma-
giam exercuit, et Israëlitas ad pessima quaevis perduxit.
Schabbath f. 104, 2: Traditio est, R. Elieserem dixisse ad
viros doctos: annon f. Satdae (i. e. Jesus) magiam ex Aegyp-
to adduxit per incisionem in carne sua factam?
s. Schött-
gen
, horae, 2, S. 697 ff, Eisenmenger, entdecktes Judenthum,
1, S. 149 f.
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[303/0327] Fünftes Kapitel. §. 39. von Andern empfangen: sondern es wurde dem Göttlichen und Übernatürlichen statt des Natürlichen und Menschli- chen ein Unnatürliches und Dämonisches entgegengestellt, und Jesu vorgeworfen, daſs er zum Behuf seiner Wunder in seiner Jugend die Zauberei erlernt habe. Diese Be- schuldigung lieſs sich am ehesten an die Reise seiner El- tern mit ihm nach Ägypten, in dieses uralte Land der Ma- gie und geheimen Weisheit, knüpfen, und so gewendet finden wir sie wirklich sowohl bei Celsus als im Talmud. Jener läſst einen Juden unter Andrem auch das gegen Je- sum vorbringen, er habe sich nach Ägypten um Lohn ver- dungen, dort habe er sich einige Zauberkünste anzueignen gewuſst, und nach seiner Rückkehr um derselben willen sich prahlerisch für einen Gott ausgegeben 12). Der Tal- mud giebt ihm einen jüdischen Synedristen zum Lehrer, läſst ihn mit diesem nach Ägypten reisen und von da Zau- berformeln nach Palästina zurückbringen 13). Der rein natürliche Gesichtspunkt für die geistige Ent- wickelung Jesu konnte erst auf dem Boden der neuern Bildung gefaſst werden, und hier bildet den Hauptunter- schied der Ansichten dieſs, ob aus den in jener Zeit gege- benen Bildungsmomenten einseitig nur Eines herausgegrif- fen, oder mit umfassenderem Sinne von ihrer Gesammt- 12) Orig. c. Cels. 1, 28: καὶ (λέγει) ὅτι ου῟τος (ὁ Ἰησοῦς) διὰ πενιαν εἰς Αἴγυπτον μισϑαρνήσας, κἀκεῖ δυνάμεών τι- νων πειραϑεὶς, ἐφ' αἷς Αἰγύπτιοι σεμνύνονται, ἐπαν- ῆλϑεν, ἐν ταῖς δυνάμεσι μέγα φρονῶν, καὶ δἰ αὐτὰς ϑεὸν αὑτὸν ἀνηγόρευσε. 13) Sanhedr. f. 107, 2: — R. Josua f. Perachja et ישו Alexan- driam Aegypti profecti sunt — — ישו ex illo tempore ma- giam exercuit, et Israëlitas ad pessima quaevis perduxit. Schabbath f. 104, 2: Traditio est, R. Elieserem dixisse ad viros doctos: annon f. Satdae (i. e. Jesus) magiam ex Aegyp- to adduxit per incisionem in carne sua factam? s. Schött- gen, horae, 2, S. 697 ff, Eisenmenger, entdecktes Judenthum, 1, S. 149 f.

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/327>, abgerufen am 17.05.2024.