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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Viertes Kapitel. §. 30.
um das messianische Kind vom frühzeitigen Untergange zu
retten. Aber die andre Seite dieser göttlichen Veranstal-
tung ist, dass nun statt des Einen viele andere Kinder ster-
ben mussten. Hiegegen wäre für den Fall nichts einzu-
wenden, wenn es erweislich auf andere Art nicht möglich
gewesen wäre, Jesum einem, mit dem Erlösungszweck un-
vereinbaren, Schicksal zu entziehen. Aber wenn Gott ein-
mal so übernatürlich eingriff, dass er das Gemüth des He-
rodes verblendete und den Magiern später eingab, nicht
mehr nach Jerusalem zurückzukehren: warum gab er die-
sen nicht gleich Anfangs ein, mit Umgehung Jerusalems
geradezu nach Bethlehem zu reisen, wo dann die Auf-
merksamkeit des Herodes nicht so unmittelbar erregt, und
so vielleicht das ganze Unheil vermieden worden wäre? 11)
Hiegegen bleibt auf diesem Standpunkt nichts übrig, als
im ganz alten Styl zu sagen, den Kindern sei es gut ge-
wesen, so frühe umzukommen, weil sie so durch ein kur-
zes Leiden vielem Elende und namentlich der Gefahr ent-
zogen wurden, sich mit den ungläubigen Juden an Jesu
zu versündigen, weil sie nun die Ehre hatten, um Christi wil-
len ihr Leben zu lassen und Märtyrer zu werden, u. s. w. 12).

Die Magier ziehen jetzt von Jerusalem ab, bei Nacht,
wie es scheint, in welcher die Orientalen gerne reisen;
der Stern, den sie seit der Abreise aus ihrer Heimath nicht
mehr gesehen zu haben scheinen, zeigt sich wieder, und
zieht ihnen auf der Strasse nach Bethlehem voran, bis er
endlich über dem Wohnhause des Kindes und seiner Eltern
stehen bleibt. Von Jerusalem nach Bethlehem geht der
Weg südlich; nun ist aber die wahre Bahn der bewegli-
chen Sterne entweder von West nach Ost, wie die der
Planeten und eines Theils der Kometen, oder von Ost

11) Schmidt, exeg. Beiträge, 1, 155 f.
12) Stark, Synops. bibl. exeg. in N. T. p. 62.
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Viertes Kapitel. §. 30.
um das messianische Kind vom frühzeitigen Untergange zu
retten. Aber die andre Seite dieser göttlichen Veranstal-
tung ist, daſs nun statt des Einen viele andere Kinder ster-
ben muſsten. Hiegegen wäre für den Fall nichts einzu-
wenden, wenn es erweislich auf andere Art nicht möglich
gewesen wäre, Jesum einem, mit dem Erlösungszweck un-
vereinbaren, Schicksal zu entziehen. Aber wenn Gott ein-
mal so übernatürlich eingriff, daſs er das Gemüth des He-
rodes verblendete und den Magiern später eingab, nicht
mehr nach Jerusalem zurückzukehren: warum gab er die-
sen nicht gleich Anfangs ein, mit Umgehung Jerusalems
geradezu nach Bethlehem zu reisen, wo dann die Auf-
merksamkeit des Herodes nicht so unmittelbar erregt, und
so vielleicht das ganze Unheil vermieden worden wäre? 11)
Hiegegen bleibt auf diesem Standpunkt nichts übrig, als
im ganz alten Styl zu sagen, den Kindern sei es gut ge-
wesen, so frühe umzukommen, weil sie so durch ein kur-
zes Leiden vielem Elende und namentlich der Gefahr ent-
zogen wurden, sich mit den ungläubigen Juden an Jesu
zu versündigen, weil sie nun die Ehre hatten, um Christi wil-
len ihr Leben zu lassen und Märtyrer zu werden, u. s. w. 12).

Die Magier ziehen jetzt von Jerusalem ab, bei Nacht,
wie es scheint, in welcher die Orientalen gerne reisen;
der Stern, den sie seit der Abreise aus ihrer Heimath nicht
mehr gesehen zu haben scheinen, zeigt sich wieder, und
zieht ihnen auf der Strasse nach Bethlehem voran, bis er
endlich über dem Wohnhause des Kindes und seiner Eltern
stehen bleibt. Von Jerusalem nach Bethlehem geht der
Weg südlich; nun ist aber die wahre Bahn der bewegli-
chen Sterne entweder von West nach Ost, wie die der
Planeten und eines Theils der Kometen, oder von Ost

11) Schmidt, exeg. Beiträge, 1, 155 f.
12) Stark, Synops. bibl. exeg. in N. T. p. 62.
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[227/0251] Viertes Kapitel. §. 30. um das messianische Kind vom frühzeitigen Untergange zu retten. Aber die andre Seite dieser göttlichen Veranstal- tung ist, daſs nun statt des Einen viele andere Kinder ster- ben muſsten. Hiegegen wäre für den Fall nichts einzu- wenden, wenn es erweislich auf andere Art nicht möglich gewesen wäre, Jesum einem, mit dem Erlösungszweck un- vereinbaren, Schicksal zu entziehen. Aber wenn Gott ein- mal so übernatürlich eingriff, daſs er das Gemüth des He- rodes verblendete und den Magiern später eingab, nicht mehr nach Jerusalem zurückzukehren: warum gab er die- sen nicht gleich Anfangs ein, mit Umgehung Jerusalems geradezu nach Bethlehem zu reisen, wo dann die Auf- merksamkeit des Herodes nicht so unmittelbar erregt, und so vielleicht das ganze Unheil vermieden worden wäre? 11) Hiegegen bleibt auf diesem Standpunkt nichts übrig, als im ganz alten Styl zu sagen, den Kindern sei es gut ge- wesen, so frühe umzukommen, weil sie so durch ein kur- zes Leiden vielem Elende und namentlich der Gefahr ent- zogen wurden, sich mit den ungläubigen Juden an Jesu zu versündigen, weil sie nun die Ehre hatten, um Christi wil- len ihr Leben zu lassen und Märtyrer zu werden, u. s. w. 12). Die Magier ziehen jetzt von Jerusalem ab, bei Nacht, wie es scheint, in welcher die Orientalen gerne reisen; der Stern, den sie seit der Abreise aus ihrer Heimath nicht mehr gesehen zu haben scheinen, zeigt sich wieder, und zieht ihnen auf der Strasse nach Bethlehem voran, bis er endlich über dem Wohnhause des Kindes und seiner Eltern stehen bleibt. Von Jerusalem nach Bethlehem geht der Weg südlich; nun ist aber die wahre Bahn der bewegli- chen Sterne entweder von West nach Ost, wie die der Planeten und eines Theils der Kometen, oder von Ost 11) Schmidt, exeg. Beiträge, 1, 155 f. 12) Stark, Synops. bibl. exeg. in N. T. p. 62. 15*

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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/251>, abgerufen am 25.11.2024.