Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Einleitung.
Die Genesis des mythischen Standpunktes
für die evangelische Geschichte.

§. 1.
Nothwendige Ausbildung verschiedener Erklärungsweisen
heiliger Geschichten.

Wo immer eine auf schriftliche Denkmale sich stützen-
de Religion in weiteren Raum- und Zeitgebieten sich gel-
tend macht, und ihre Bekenner durch mannigfaltige und
immer höher steigende Entwickelungs- und Bildungsstufen
begleitet: da thut sich früher oder später eine Differenz
hervor zwischen Geist und Form jener alten Urkunden und
zwischen der neuen Bildung derer, welche an dieselben
als an heilige Bücher gewiesen sind. Diese Differenz kann
bald mehr nur das Unwesentliche und Formelle betreffen,
dass Ausdruck und Darstellung in jenen Schriften der Sa-
che unangemessen gefunden werden; bald aber tritt sie
selbst an den wesentlichen Inhalt heran, und es wollen auch
die Ideen und Grundansichten solcher Bücher der fortge-
schrittenen Bildung nicht mehr genügen. So lange diese
Differenzen entweder nicht so bedeutend sind, oder nicht
so allgemein zum Bewusstsein kommen, um eine völlige
Lossagung von jenen Urkunden, als heiligen, herbeizufüh-
ren: so lange muss unter denen, welche sich derselben
heller oder dunkler bewusst geworden sind, ein Vermitt-
lungsprocess entstehen und sich erhalten, welcher in der
Auslegung jener Bücher vor sich gehen wird.

Das Leben Jesu I. Band. 1

Einleitung.
Die Genesis des mythischen Standpunktes
für die evangelische Geschichte.

§. 1.
Nothwendige Ausbildung verschiedener Erklärungsweisen
heiliger Geschichten.

Wo immer eine auf schriftliche Denkmale sich stützen-
de Religion in weiteren Raum- und Zeitgebieten sich gel-
tend macht, und ihre Bekenner durch mannigfaltige und
immer höher steigende Entwickelungs- und Bildungsstufen
begleitet: da thut sich früher oder später eine Differenz
hervor zwischen Geist und Form jener alten Urkunden und
zwischen der neuen Bildung derer, welche an dieselben
als an heilige Bücher gewiesen sind. Diese Differenz kann
bald mehr nur das Unwesentliche und Formelle betreffen,
daſs Ausdruck und Darstellung in jenen Schriften der Sa-
che unangemessen gefunden werden; bald aber tritt sie
selbst an den wesentlichen Inhalt heran, und es wollen auch
die Ideen und Grundansichten solcher Bücher der fortge-
schrittenen Bildung nicht mehr genügen. So lange diese
Differenzen entweder nicht so bedeutend sind, oder nicht
so allgemein zum Bewuſstsein kommen, um eine völlige
Lossagung von jenen Urkunden, als heiligen, herbeizufüh-
ren: so lange muſs unter denen, welche sich derselben
heller oder dunkler bewuſst geworden sind, ein Vermitt-
lungsproceſs entstehen und sich erhalten, welcher in der
Auslegung jener Bücher vor sich gehen wird.

Das Leben Jesu I. Band. 1
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0025" n="[1]"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Einleitung</hi>.<lb/>
Die Genesis des mythischen Standpunktes<lb/>
für die evangelische Geschichte.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§. 1.<lb/>
Nothwendige Ausbildung verschiedener Erklärungsweisen<lb/>
heiliger Geschichten.</head><lb/>
          <p>Wo immer eine auf schriftliche Denkmale sich stützen-<lb/>
de Religion in weiteren Raum- und Zeitgebieten sich gel-<lb/>
tend macht, und ihre Bekenner durch mannigfaltige und<lb/>
immer höher steigende Entwickelungs- und Bildungsstufen<lb/>
begleitet: da thut sich früher oder später eine Differenz<lb/>
hervor zwischen Geist und Form jener alten Urkunden und<lb/>
zwischen der neuen Bildung derer, welche an dieselben<lb/>
als an heilige Bücher gewiesen sind. Diese Differenz kann<lb/>
bald mehr nur das Unwesentliche und Formelle betreffen,<lb/>
da&#x017F;s Ausdruck und Darstellung in jenen Schriften der Sa-<lb/>
che unangemessen gefunden werden; bald aber tritt sie<lb/>
selbst an den wesentlichen Inhalt heran, und es wollen auch<lb/>
die Ideen und Grundansichten solcher Bücher der fortge-<lb/>
schrittenen Bildung nicht mehr genügen. So lange diese<lb/>
Differenzen entweder nicht so bedeutend sind, oder nicht<lb/>
so allgemein zum Bewu&#x017F;stsein kommen, um eine völlige<lb/>
Lossagung von jenen Urkunden, als heiligen, herbeizufüh-<lb/>
ren: so lange mu&#x017F;s unter denen, welche sich derselben<lb/>
heller oder dunkler bewu&#x017F;st geworden sind, ein Vermitt-<lb/>
lungsproce&#x017F;s entstehen und sich erhalten, <choice><sic>weleher</sic><corr>welcher</corr></choice> in der<lb/>
Auslegung jener Bücher vor sich gehen wird.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#i">Das Leben Jesu I. Band.</hi> 1</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[1]/0025] Einleitung. Die Genesis des mythischen Standpunktes für die evangelische Geschichte. §. 1. Nothwendige Ausbildung verschiedener Erklärungsweisen heiliger Geschichten. Wo immer eine auf schriftliche Denkmale sich stützen- de Religion in weiteren Raum- und Zeitgebieten sich gel- tend macht, und ihre Bekenner durch mannigfaltige und immer höher steigende Entwickelungs- und Bildungsstufen begleitet: da thut sich früher oder später eine Differenz hervor zwischen Geist und Form jener alten Urkunden und zwischen der neuen Bildung derer, welche an dieselben als an heilige Bücher gewiesen sind. Diese Differenz kann bald mehr nur das Unwesentliche und Formelle betreffen, daſs Ausdruck und Darstellung in jenen Schriften der Sa- che unangemessen gefunden werden; bald aber tritt sie selbst an den wesentlichen Inhalt heran, und es wollen auch die Ideen und Grundansichten solcher Bücher der fortge- schrittenen Bildung nicht mehr genügen. So lange diese Differenzen entweder nicht so bedeutend sind, oder nicht so allgemein zum Bewuſstsein kommen, um eine völlige Lossagung von jenen Urkunden, als heiligen, herbeizufüh- ren: so lange muſs unter denen, welche sich derselben heller oder dunkler bewuſst geworden sind, ein Vermitt- lungsproceſs entstehen und sich erhalten, welcher in der Auslegung jener Bücher vor sich gehen wird. Das Leben Jesu I. Band. 1

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/25
Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/25>, abgerufen am 28.03.2024.