ler an dieser gemischt-mythischen Erklärung aus, dass sie, wie die natürliche, zu viel Unwahrscheinliches häufe; ein- facher erscheine Alles bei Annahme eines reinen, dogmati- schen Mythus, wodurch auch mehr Harmonie in diese christ- liche Urgeschichte komme, deren bisherige Stücke ja eben- falls als reine Mythen haben ausgelegt werden müssen 20). Demgemäss erklärt nun Gabler die Erzählung aus der Zeit- vorstellung, bei der Geburt des Messias müssen wohl En- gel geschäftig sein. Nun habe man gewusst, dass Maria in einer Hirtenwohnung entbunden worden war; diesen guten Hirten, habe man also geschlossen, müssen die En- gel sogleich die Botschaft gebracht haben, dass der Mes- sias in ihrem Stalle geboren sei, und die Engel, die ja immer Gott preisen, müssen auch hier einen Lobgesang an- gestimmt haben. Anders, meint Gabler, konnte sich ein Judenchrist die Geburt Jesu, wenn er einige Data von der- selben wusste, unmöglich denken, als sie hier gemalt ist 21).
Auf merkwürdige Weise zeigt diese Gabler'sche Er- klärung, wie schwer es hält, sich von der natürlichen Er- klärungsweise völlig loszuwinden, und ganz zu der mythi- schen zu erheben; denn während der genannte Theologe ganz schon auf mythischen Boden getreten zu sein meint, steht er doch mit einem Fusse noch auf dem der natürli- chen Auslegung. Einen Zug nämlich aus dem Berichte des Lukas nimmt er als historisch, welchen sein Zusammen- hang mit unhistorischen Elementen und seine Angemessen- heit an den Geist der urchristlichen Sage zu deutlich als blos mythischen bezeichnet, nämlich, dass Jesus wirklich in einer Hirtenwohnung geboren sei, und eine Vorausse- zung nimmt er aus der natürlichen Erklärungsweise auf, welche die mythische gar nicht dem Texte aufzudringen
20) Recension von Bauer's hebr. Mythologie in Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur, 2, 1, S. 58 f.
21) Neuest. theol. Journal 7, 4, S. 412 f.
Erster Abschnitt.
ler an dieser gemischt-mythischen Erklärung aus, daſs sie, wie die natürliche, zu viel Unwahrscheinliches häufe; ein- facher erscheine Alles bei Annahme eines reinen, dogmati- schen Mythus, wodurch auch mehr Harmonie in diese christ- liche Urgeschichte komme, deren bisherige Stücke ja eben- falls als reine Mythen haben ausgelegt werden müssen 20). Demgemäſs erklärt nun Gabler die Erzählung aus der Zeit- vorstellung, bei der Geburt des Messias müssen wohl En- gel geschäftig sein. Nun habe man gewuſst, daſs Maria in einer Hirtenwohnung entbunden worden war; diesen guten Hirten, habe man also geschlossen, müssen die En- gel sogleich die Botschaft gebracht haben, daſs der Mes- sias in ihrem Stalle geboren sei, und die Engel, die ja immer Gott preisen, müssen auch hier einen Lobgesang an- gestimmt haben. Anders, meint Gabler, konnte sich ein Judenchrist die Geburt Jesu, wenn er einige Data von der- selben wuſste, unmöglich denken, als sie hier gemalt ist 21).
Auf merkwürdige Weise zeigt diese Gabler'sche Er- klärung, wie schwer es hält, sich von der natürlichen Er- klärungsweise völlig loszuwinden, und ganz zu der mythi- schen zu erheben; denn während der genannte Theologe ganz schon auf mythischen Boden getreten zu sein meint, steht er doch mit einem Fuſse noch auf dem der natürli- chen Auslegung. Einen Zug nämlich aus dem Berichte des Lukas nimmt er als historisch, welchen sein Zusammen- hang mit unhistorischen Elementen und seine Angemessen- heit an den Geist der urchristlichen Sage zu deutlich als blos mythischen bezeichnet, nämlich, daſs Jesus wirklich in einer Hirtenwohnung geboren sei, und eine Vorausse- zung nimmt er aus der natürlichen Erklärungsweise auf, welche die mythische gar nicht dem Texte aufzudringen
20) Recension von Bauer's hebr. Mythologie in Gabler's Journal für auserlesene theol. Literatur, 2, 1, S. 58 f.
21) Neuest. theol. Journal 7, 4, S. 412 f.
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Erster Abschnitt.
ler an dieser gemischt-mythischen Erklärung aus, daſs sie,
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facher erscheine Alles bei Annahme eines reinen, dogmati-
schen Mythus, wodurch auch mehr Harmonie in diese christ-
liche Urgeschichte komme, deren bisherige Stücke ja eben-
falls als reine Mythen haben ausgelegt werden müssen 20).
Demgemäſs erklärt nun Gabler die Erzählung aus der Zeit-
vorstellung, bei der Geburt des Messias müssen wohl En-
gel geschäftig sein. Nun habe man gewuſst, daſs Maria
in einer Hirtenwohnung entbunden worden war; diesen
guten Hirten, habe man also geschlossen, müssen die En-
gel sogleich die Botschaft gebracht haben, daſs der Mes-
sias in ihrem Stalle geboren sei, und die Engel, die ja
immer Gott preisen, müssen auch hier einen Lobgesang an-
gestimmt haben. Anders, meint Gabler, konnte sich ein
Judenchrist die Geburt Jesu, wenn er einige Data von der-
selben wuſste, unmöglich denken, als sie hier gemalt ist 21).
Auf merkwürdige Weise zeigt diese Gabler'sche Er-
klärung, wie schwer es hält, sich von der natürlichen Er-
klärungsweise völlig loszuwinden, und ganz zu der mythi-
schen zu erheben; denn während der genannte Theologe
ganz schon auf mythischen Boden getreten zu sein meint,
steht er doch mit einem Fuſse noch auf dem der natürli-
chen Auslegung. Einen Zug nämlich aus dem Berichte des
Lukas nimmt er als historisch, welchen sein Zusammen-
hang mit unhistorischen Elementen und seine Angemessen-
heit an den Geist der urchristlichen Sage zu deutlich als
blos mythischen bezeichnet, nämlich, daſs Jesus wirklich
in einer Hirtenwohnung geboren sei, und eine Vorausse-
zung nimmt er aus der natürlichen Erklärungsweise auf,
welche die mythische gar nicht dem Texte aufzudringen
20) Recension von Bauer's hebr. Mythologie in Gabler's Journal
für auserlesene theol. Literatur, 2, 1, S. 58 f.
21) Neuest. theol. Journal 7, 4, S. 412 f.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/238>, abgerufen am 23.11.2024.
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