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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.

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Drittes Kapitel. §. 26.
die Rede ist. Wenn also nach Fritzsche's Worten luben-
tissime post Jesu natales Mariam concessit Matthaeus

(ebenso auch Lukas) uxorem Josepho, in hoc uno occu-
patus, ne quis ante Jesu primordia mutua Venere usos
suspicaretur
3): so genügte diess doch den Orthodoxen um
so weniger in die Länge, je höher bald die Verehrung der
Maria stieg, deren Leib, einmal durch göttliche Thätig-
keit befruchtet, nicht mehr durch gemeinmenschlichen Ge-
schlechtsverkehr entheiligt werden sollte 4). Frühzeitig trat
daher die Ansicht, dass Maria nach der Geburt Jesu mit
Joseph ehelichen Umgang gehabt, in die Kreise der Ketzer
zurück 5), und die rechtgläubigen Väter suchten auf jede
Weise derselben auszuweichen und sie zu bekämpfen. Exe-
getisch erdachte man sich für das eos ou die Auslegung,
dass es bisweilen nicht blos bis zu der angegebenen Zeit-
gränze hin, sondern auch über dieselbe hinaus, für immer,
etwas behaupte oder läugne, so dass hier das ouk eginosken
auten eos ou eteke k. t. l. die eheliche Gemeinschaft zwi-
schen Joseph und Maria für alle Zeiten ausschliesse 6).
Ebenso machte man in Bezug auf das prototokos geltend,
es schliesse nicht nothwendig in sich, dass nachher noch
andere Kinder geboren seien, sondern nur, dass andere
vorher, schliesse es aus 7). Um aber nicht blos gramma-

3) Comment. in Matth. p. 55.
4) S. Origenes in Matthaeum, Opp. ed. de la Rue Vol. 3. S. 463.
5) Der aufgeklärte Arianer Eunomius lehrte nach Photius, ton
Ioseph meta ten aphrason kuophorian sunaptesthai te
partheno. Ebenso nach Epiphanius die von ihm sogenann-
ten Dimöriten und Antidikomarianiten, und nach Augustin
die Helvidianer. Vgl. hierüber die Sammlung von Suicer,
im Thesaurus II, s. v. Maria, fol. 305 f.
6) Vgl. Theophylakt und Suidas bei Suicer I, s. v. eos, f
1294 f.
7) Hieron. z. d. St.

Drittes Kapitel. §. 26.
die Rede ist. Wenn also nach Fritzsche's Worten luben-
tissime post Jesu natales Mariam concessit Matthaeus

(ebenso auch Lukas) uxorem Josepho, in hoc uno occu-
patus, ne quis ante Jesu primordia mutua Venere usos
suspicaretur
3): so genügte dieſs doch den Orthodoxen um
so weniger in die Länge, je höher bald die Verehrung der
Maria stieg, deren Leib, einmal durch göttliche Thätig-
keit befruchtet, nicht mehr durch gemeinmenschlichen Ge-
schlechtsverkehr entheiligt werden sollte 4). Frühzeitig trat
daher die Ansicht, daſs Maria nach der Geburt Jesu mit
Joseph ehelichen Umgang gehabt, in die Kreise der Ketzer
zurück 5), und die rechtgläubigen Väter suchten auf jede
Weise derselben auszuweichen und sie zu bekämpfen. Exe-
getisch erdachte man sich für das ἔως οὖ die Auslegung,
daſs es bisweilen nicht blos bis zu der angegebenen Zeit-
gränze hin, sondern auch über dieselbe hinaus, für immer,
etwas behaupte oder läugne, so daſs hier das οὐκ ἐγίνωσκεν
αὐτὴν ἕως οὖ ἔτεκε κ. τ. λ. die eheliche Gemeinschaft zwi-
schen Joseph und Maria für alle Zeiten ausschlieſse 6).
Ebenso machte man in Bezug auf das πρωτότοκος geltend,
es schlieſse nicht nothwendig in sich, daſs nachher noch
andere Kinder geboren seien, sondern nur, daſs andere
vorher, schlieſse es aus 7). Um aber nicht blos gramma-

3) Comment. in Matth. p. 55.
4) S. Origenes in Matthaeum, Opp. ed. de la Rue Vol. 3. S. 463.
5) Der aufgeklärte Arianer Eunomius lehrte nach Photius, τὸν
Ἰωσὴφ μετὰ τὴν ἄφραςον κυοφορίαν συνάπτεσϑαί τῇ
παρϑένῳ. Ebenso nach Epiphanius die von ihm sogenann-
ten Dimöriten und Antidikomarianiten, und nach Augustin
die Helvidianer. Vgl. hierüber die Sammlung von Suicer,
im Thesaurus II, s. v. Μαρία, fol. 305 f.
6) Vgl. Theophylakt und Suidas bei Suicer I, s. v. ἔως, f
1294 f.
7) Hieron. z. d. St.
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[181/0205] Drittes Kapitel. §. 26. die Rede ist. Wenn also nach Fritzsche's Worten luben- tissime post Jesu natales Mariam concessit Matthaeus (ebenso auch Lukas) uxorem Josepho, in hoc uno occu- patus, ne quis ante Jesu primordia mutua Venere usos suspicaretur 3): so genügte dieſs doch den Orthodoxen um so weniger in die Länge, je höher bald die Verehrung der Maria stieg, deren Leib, einmal durch göttliche Thätig- keit befruchtet, nicht mehr durch gemeinmenschlichen Ge- schlechtsverkehr entheiligt werden sollte 4). Frühzeitig trat daher die Ansicht, daſs Maria nach der Geburt Jesu mit Joseph ehelichen Umgang gehabt, in die Kreise der Ketzer zurück 5), und die rechtgläubigen Väter suchten auf jede Weise derselben auszuweichen und sie zu bekämpfen. Exe- getisch erdachte man sich für das ἔως οὖ die Auslegung, daſs es bisweilen nicht blos bis zu der angegebenen Zeit- gränze hin, sondern auch über dieselbe hinaus, für immer, etwas behaupte oder läugne, so daſs hier das οὐκ ἐγίνωσκεν αὐτὴν ἕως οὖ ἔτεκε κ. τ. λ. die eheliche Gemeinschaft zwi- schen Joseph und Maria für alle Zeiten ausschlieſse 6). Ebenso machte man in Bezug auf das πρωτότοκος geltend, es schlieſse nicht nothwendig in sich, daſs nachher noch andere Kinder geboren seien, sondern nur, daſs andere vorher, schlieſse es aus 7). Um aber nicht blos gramma- 3) Comment. in Matth. p. 55. 4) S. Origenes in Matthaeum, Opp. ed. de la Rue Vol. 3. S. 463. 5) Der aufgeklärte Arianer Eunomius lehrte nach Photius, τὸν Ἰωσὴφ μετὰ τὴν ἄφραςον κυοφορίαν συνάπτεσϑαί τῇ παρϑένῳ. Ebenso nach Epiphanius die von ihm sogenann- ten Dimöriten und Antidikomarianiten, und nach Augustin die Helvidianer. Vgl. hierüber die Sammlung von Suicer, im Thesaurus II, s. v. Μαρία, fol. 305 f. 6) Vgl. Theophylakt und Suidas bei Suicer I, s. v. ἔως, f 1294 f. 7) Hieron. z. d. St.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus01_1835/205>, abgerufen am 04.05.2024.