Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 1. Tübingen, 1835.Erster Abschnitt. Schwerlich möchte man hiegegen mit der Bemerkung aus-reichen, da Joseph ohne Zweifel Jesum adoptirt habe, so habe seine Genealogie auch für diesen volle Gültigkeit be- kommen. Denn die Adoption mochte wohl hinreichen, um dem angenommenen Sohne die Anwartschaft auf gewisse äussere, Erbschafts- und andere Rechte aus der Familie des Adoptirenden zu verschaffen; keineswegs aber konnte ein solches Verhältniss Anspruch auf die messianische Wür- de verleihen, welche an wirkliches Davidisches Blut und Geschlecht gebunden war. Schwerlich würde daher, wer den Joseph blos für den Adoptiv-Vater Jesu gehalten hät- te, sich die Mühe genommen haben, der Davidischen Ab- stammung des Joseph nachzuspüren, sondern, wenn an- ders neben der einmal gewonnenen Ansicht von Jesu als Gottessohn noch ein Interesse, ihn als Davidssohn darzu- stellen, fortdauerte, so würde man zu diesem Behuf die Genealogie der Maria gegeben haben, indem, wenn auch gegen die Gewohnheit, der Stammbaum der Mutter zu Hülfe genommen werden musste, wo kein menschlicher Va- ter vorhanden war. Am wenigsten würden mit der Com- position eines durch Joseph vermittelten Stammbaums Je- su Mehrere sich befasst haben, so dass uns noch 2 ver- schiedene Genealogieen dieser Art übrig bleiben konnten, wenn man nicht zur Zeit ihrer Abfassung noch ein nähe- res Verhältniss Jesu zu Joseph angenommen hätte. Kaum wird man daher dem Urtheil obengenannter Ge- Erster Abschnitt. Schwerlich möchte man hiegegen mit der Bemerkung aus-reichen, da Joseph ohne Zweifel Jesum adoptirt habe, so habe seine Genealogie auch für diesen volle Gültigkeit be- kommen. Denn die Adoption mochte wohl hinreichen, um dem angenommenen Sohne die Anwartschaft auf gewisse äussere, Erbschafts- und andere Rechte aus der Familie des Adoptirenden zu verschaffen; keineswegs aber konnte ein solches Verhältniſs Anspruch auf die messianische Wür- de verleihen, welche an wirkliches Davidisches Blut und Geschlecht gebunden war. Schwerlich würde daher, wer den Joseph blos für den Adoptiv-Vater Jesu gehalten hät- te, sich die Mühe genommen haben, der Davidischen Ab- stammung des Joseph nachzuspüren, sondern, wenn an- ders neben der einmal gewonnenen Ansicht von Jesu als Gottessohn noch ein Interesse, ihn als Davidssohn darzu- stellen, fortdauerte, so würde man zu diesem Behuf die Genealogie der Maria gegeben haben, indem, wenn auch gegen die Gewohnheit, der Stammbaum der Mutter zu Hülfe genommen werden muſste, wo kein menschlicher Va- ter vorhanden war. Am wenigsten würden mit der Com- position eines durch Joseph vermittelten Stammbaums Je- su Mehrere sich befaſst haben, so daſs uns noch 2 ver- schiedene Genealogieen dieser Art übrig bleiben konnten, wenn man nicht zur Zeit ihrer Abfassung noch ein nähe- res Verhältniſs Jesu zu Joseph angenommen hätte. 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Erster Abschnitt.
Schwerlich möchte man hiegegen mit der Bemerkung aus-
reichen, da Joseph ohne Zweifel Jesum adoptirt habe, so
habe seine Genealogie auch für diesen volle Gültigkeit be-
kommen. Denn die Adoption mochte wohl hinreichen, um
dem angenommenen Sohne die Anwartschaft auf gewisse
äussere, Erbschafts- und andere Rechte aus der Familie
des Adoptirenden zu verschaffen; keineswegs aber konnte
ein solches Verhältniſs Anspruch auf die messianische Wür-
de verleihen, welche an wirkliches Davidisches Blut und
Geschlecht gebunden war. Schwerlich würde daher, wer
den Joseph blos für den Adoptiv-Vater Jesu gehalten hät-
te, sich die Mühe genommen haben, der Davidischen Ab-
stammung des Joseph nachzuspüren, sondern, wenn an-
ders neben der einmal gewonnenen Ansicht von Jesu als
Gottessohn noch ein Interesse, ihn als Davidssohn darzu-
stellen, fortdauerte, so würde man zu diesem Behuf die
Genealogie der Maria gegeben haben, indem, wenn auch
gegen die Gewohnheit, der Stammbaum der Mutter zu
Hülfe genommen werden muſste, wo kein menschlicher Va-
ter vorhanden war. Am wenigsten würden mit der Com-
position eines durch Joseph vermittelten Stammbaums Je-
su Mehrere sich befaſst haben, so daſs uns noch 2 ver-
schiedene Genealogieen dieser Art übrig bleiben konnten,
wenn man nicht zur Zeit ihrer Abfassung noch ein nähe-
res Verhältniſs Jesu zu Joseph angenommen hätte.
Kaum wird man daher dem Urtheil obengenannter Ge-
lehrten abstehen können, es seien diese Genealogieen von
der Ansicht aus verfertigt, daſs Jesus der wirkliche Sohn
Josephs und der Maria gewesen sei; die Verfasser oder
Sammler unserer Evangelien aber, obwohl ihrerseits von
dem höheren Ursprung Jesu überzeugt, haben dieselben
doch in ihre Sammlungen aufgenommen, nur daſs Mat-
thäus (1, 16.) das ursprüngliche ἐξ οὗ des Genealogisten nach
seiner abweichenden Ansicht in ἐξ ἦς verwandelt, Lukas
aber (3, 23.) zwischen das ὢν υἱὸς Ἰωσὴφ ein ὡς ἐνομίζετο
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