Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Geräusch zu hören; ich horchte näher hin; es klang wie das Schluchzen einer Kinderstimme. - "Lisei!" dachte ich; "wenn es Lisei wäre!" Wie ein Stein fiel meine ganze Unthat mir wieder auf's Gewissen; was kümmerte mich jetzt der Doctor Faust und seine Höllenfahrt!

Unter heftigem Herzklopfen drängte ich mich durch die Zuschauer und ließ mich seitwärts an dem Brettergerüst herabgleiten. Rasch schlüpfte ich in den darunter befindlichen Raum, in welchem ich an der Wand entlang ganz aufrecht gehen konnte; aber es war fast dunkel, so daß ich mich an den überall untergestellten Latten und Balken stieß. "Lisei!" rief ich. Das Schluchzen, das ich eben noch gehört hatte, wurde plötzlich still; aber dort in dem tiefsten Winkel sah ich etwas sich bewegen. Ich tastete mich weiter bis an das Ende des Raumes, und - da saß sie, zusammengekauert, das Köpfchen in den Schooß gedrückt.

Ich zupfte sie am Kleide. "Lisei!" sagte ich leise, "bist du es? Was machst du hier?"

Sie antwortete nicht, sondern begann wieder vor sich hin zu schluchzen.

ein Geräusch zu hören; ich horchte näher hin; es klang wie das Schluchzen einer Kinderstimme. – „Lisei!“ dachte ich; „wenn es Lisei wäre!“ Wie ein Stein fiel meine ganze Unthat mir wieder auf’s Gewissen; was kümmerte mich jetzt der Doctor Faust und seine Höllenfahrt!

Unter heftigem Herzklopfen drängte ich mich durch die Zuschauer und ließ mich seitwärts an dem Brettergerüst herabgleiten. Rasch schlüpfte ich in den darunter befindlichen Raum, in welchem ich an der Wand entlang ganz aufrecht gehen konnte; aber es war fast dunkel, so daß ich mich an den überall untergestellten Latten und Balken stieß. „Lisei!“ rief ich. Das Schluchzen, das ich eben noch gehört hatte, wurde plötzlich still; aber dort in dem tiefsten Winkel sah ich etwas sich bewegen. Ich tastete mich weiter bis an das Ende des Raumes, und – da saß sie, zusammengekauert, das Köpfchen in den Schooß gedrückt.

Ich zupfte sie am Kleide. „Lisei!“ sagte ich leise, „bist du es? Was machst du hier?“

Sie antwortete nicht, sondern begann wieder vor sich hin zu schluchzen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="153"/>
ein Geräusch zu hören; ich horchte näher hin; es klang wie das Schluchzen einer Kinderstimme. &#x2013; &#x201E;Lisei!&#x201C; dachte ich; &#x201E;wenn es Lisei wäre!&#x201C; Wie ein Stein fiel meine ganze Unthat mir wieder auf&#x2019;s Gewissen; was kümmerte mich jetzt der Doctor Faust und seine Höllenfahrt!</p>
        <p>Unter heftigem Herzklopfen drängte ich mich durch die Zuschauer und ließ mich seitwärts an dem Brettergerüst herabgleiten. Rasch schlüpfte ich in den darunter befindlichen Raum, in welchem ich an der Wand entlang ganz aufrecht gehen konnte; aber es war fast dunkel, so daß ich mich an den überall untergestellten Latten und Balken stieß. &#x201E;Lisei!&#x201C; rief ich. Das Schluchzen, das ich eben noch gehört hatte, wurde plötzlich still; aber dort in dem tiefsten Winkel sah ich etwas sich bewegen. Ich tastete mich weiter bis an das Ende des Raumes, und &#x2013; da saß sie, zusammengekauert, das Köpfchen in den Schooß gedrückt.</p>
        <p>Ich zupfte sie am Kleide. &#x201E;Lisei!&#x201C; sagte ich leise, &#x201E;bist du es? Was machst du hier?&#x201C;</p>
        <p>Sie antwortete nicht, sondern begann wieder vor sich hin zu schluchzen.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0157] ein Geräusch zu hören; ich horchte näher hin; es klang wie das Schluchzen einer Kinderstimme. – „Lisei!“ dachte ich; „wenn es Lisei wäre!“ Wie ein Stein fiel meine ganze Unthat mir wieder auf’s Gewissen; was kümmerte mich jetzt der Doctor Faust und seine Höllenfahrt! Unter heftigem Herzklopfen drängte ich mich durch die Zuschauer und ließ mich seitwärts an dem Brettergerüst herabgleiten. Rasch schlüpfte ich in den darunter befindlichen Raum, in welchem ich an der Wand entlang ganz aufrecht gehen konnte; aber es war fast dunkel, so daß ich mich an den überall untergestellten Latten und Balken stieß. „Lisei!“ rief ich. Das Schluchzen, das ich eben noch gehört hatte, wurde plötzlich still; aber dort in dem tiefsten Winkel sah ich etwas sich bewegen. Ich tastete mich weiter bis an das Ende des Raumes, und – da saß sie, zusammengekauert, das Köpfchen in den Schooß gedrückt. Ich zupfte sie am Kleide. „Lisei!“ sagte ich leise, „bist du es? Was machst du hier?“ Sie antwortete nicht, sondern begann wieder vor sich hin zu schluchzen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (Waldwinkel, Pole Poppenspäler).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons.

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/157
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Waldwinkel, Pole Poppenspäler. Novellen. Braunschweig, 1875, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_waldwinkel_1875/157>, abgerufen am 23.11.2024.