war und doch Boussolen und Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von solch' einem Manne war auch der Vater des nach- herigen Deichgrafen gewesen; freilich wohl nur ein kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Rapps und Bohnen baute, auch eine Kuh gras'te, ging unterweilen im Herbst und Frühjahr auch aufs Landmessen und saß im Winter, wenn der Nord- west von draußen kam und an seinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in seiner Stube. Der Junge saß meist dabei und sah über seine Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub sich mit der Hand in seinen blonden Haaren. Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeschrieben hatte, gerade so sein müsse und nicht anders sein könne, und stellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der dar- auf nicht zu antworten wußte, schüttelte den Kopf und sprach: "Das kann ich Dir nicht sagen; genug, es ist so, und Du selber irrst Dich. Willst Du mehr wissen, so suche morgen aus der Kiste, die auf unserem Boden steht, ein Buch; einer, der Euklid hieß, hat's geschrieben; das wird's Dir sagen!"
war und doch Bouſſolen und Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von ſolch' einem Manne war auch der Vater des nach- herigen Deichgrafen geweſen; freilich wohl nur ein kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Rapps und Bohnen baute, auch eine Kuh graſ'te, ging unterweilen im Herbſt und Frühjahr auch aufs Landmeſſen und ſaß im Winter, wenn der Nord- weſt von draußen kam und an ſeinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in ſeiner Stube. Der Junge ſaß meiſt dabei und ſah über ſeine Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub ſich mit der Hand in ſeinen blonden Haaren. Und eines Abends frug er den Alten, warum denn das, was er eben hingeſchrieben hatte, gerade ſo ſein müſſe und nicht anders ſein könne, und ſtellte dann eine eigene Meinung darüber auf. Aber der Vater, der dar- auf nicht zu antworten wußte, ſchüttelte den Kopf und ſprach: „Das kann ich Dir nicht ſagen; genug, es iſt ſo, und Du ſelber irrſt Dich. Willſt Du mehr wiſſen, ſo ſuche morgen aus der Kiſte, die auf unſerem Boden ſteht, ein Buch; einer, der Euklid hieß, hat's geſchrieben; das wird's Dir ſagen!”
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war und doch Bouſſolen und Seeuhren, Teleskopen
und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von
ſolch' einem Manne war auch der Vater des nach-
herigen Deichgrafen geweſen; freilich wohl nur ein
kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Rapps
und Bohnen baute, auch eine Kuh graſ'te, ging
unterweilen im Herbſt und Frühjahr auch aufs
Landmeſſen und ſaß im Winter, wenn der Nord-
weſt von draußen kam und an ſeinen Läden
rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in ſeiner Stube.
Der Junge ſaß meiſt dabei und ſah über ſeine
Fibel oder Bibel weg dem Vater zu, wie er maß
und berechnete, und grub ſich mit der Hand in
ſeinen blonden Haaren. Und eines Abends frug
er den Alten, warum denn das, was er eben
hingeſchrieben hatte, gerade ſo ſein müſſe und nicht
anders ſein könne, und ſtellte dann eine eigene
Meinung darüber auf. Aber der Vater, der dar-
auf nicht zu antworten wußte, ſchüttelte den Kopf
und ſprach: „Das kann ich Dir nicht ſagen;
genug, es iſt ſo, und Du ſelber irrſt Dich. Willſt
Du mehr wiſſen, ſo ſuche morgen aus der Kiſte, die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/23>, abgerufen am 16.02.2025.
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