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Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.

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Hauke schlug die Arme um sein Weib: "Bei
Sonnenaufgang bin ich wieder da!"

Schon war er auf sein Pferd gesprungen; das
Thier stieg mit den Vorderhufen in die Höhe; dann
gleich einem Streithengst, der sich in die Schlacht
stürzt, jagte es mit seinem Reiter die Werfte hin-
unter, in Nacht und Sturmgeheul hinaus. "Vater,
mein Vater!" schrie eine klägliche Kinderstimme
hinter ihm darein: "Mein lieber Vater!"

Wienke war im Dunkeln hinter dem Fort-
jagenden hergelaufen; aber schon nach hundert
Schritten strauchelte sie über einen Erdhaufen und
fiel zu Boden.

Der Knecht Iven Johns brachte das weinende
Kind der Mutter zurück; die lehnte am Stamme
der Esche, deren Zweige über ihr die Luft peitschten,
und starrte wie abwesend in die Nacht hinaus, in
der ihr Mann verschwunden war; wenn das Brüllen
des Sturmes und das ferne Klatschen des Meeres
einen Augenblick aussetzten, fuhr sie wie in Schreck
zusammen; ihr war jetzt, als suche Alles nur ihn
zu verderben, und werde jäh verstummen, wenn
es ihn gefaßt habe. Ihre Kniee zitterten, ihre
Haare hatte der Sturm gelöst und trieb damit

Hauke ſchlug die Arme um ſein Weib: „Bei
Sonnenaufgang bin ich wieder da!”

Schon war er auf ſein Pferd geſprungen; das
Thier ſtieg mit den Vorderhufen in die Höhe; dann
gleich einem Streithengſt, der ſich in die Schlacht
ſtürzt, jagte es mit ſeinem Reiter die Werfte hin-
unter, in Nacht und Sturmgeheul hinaus. „Vater,
mein Vater!” ſchrie eine klägliche Kinderſtimme
hinter ihm darein: „Mein lieber Vater!”

Wienke war im Dunkeln hinter dem Fort-
jagenden hergelaufen; aber ſchon nach hundert
Schritten ſtrauchelte ſie über einen Erdhaufen und
fiel zu Boden.

Der Knecht Iven Johns brachte das weinende
Kind der Mutter zurück; die lehnte am Stamme
der Eſche, deren Zweige über ihr die Luft peitſchten,
und ſtarrte wie abweſend in die Nacht hinaus, in
der ihr Mann verſchwunden war; wenn das Brüllen
des Sturmes und das ferne Klatſchen des Meeres
einen Augenblick ausſetzten, fuhr ſie wie in Schreck
zuſammen; ihr war jetzt, als ſuche Alles nur ihn
zu verderben, und werde jäh verſtummen, wenn
es ihn gefaßt habe. Ihre Kniee zitterten, ihre
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[205/0217] Hauke ſchlug die Arme um ſein Weib: „Bei Sonnenaufgang bin ich wieder da!” Schon war er auf ſein Pferd geſprungen; das Thier ſtieg mit den Vorderhufen in die Höhe; dann gleich einem Streithengſt, der ſich in die Schlacht ſtürzt, jagte es mit ſeinem Reiter die Werfte hin- unter, in Nacht und Sturmgeheul hinaus. „Vater, mein Vater!” ſchrie eine klägliche Kinderſtimme hinter ihm darein: „Mein lieber Vater!” Wienke war im Dunkeln hinter dem Fort- jagenden hergelaufen; aber ſchon nach hundert Schritten ſtrauchelte ſie über einen Erdhaufen und fiel zu Boden. Der Knecht Iven Johns brachte das weinende Kind der Mutter zurück; die lehnte am Stamme der Eſche, deren Zweige über ihr die Luft peitſchten, und ſtarrte wie abweſend in die Nacht hinaus, in der ihr Mann verſchwunden war; wenn das Brüllen des Sturmes und das ferne Klatſchen des Meeres einen Augenblick ausſetzten, fuhr ſie wie in Schreck zuſammen; ihr war jetzt, als ſuche Alles nur ihn zu verderben, und werde jäh verſtummen, wenn es ihn gefaßt habe. Ihre Kniee zitterten, ihre Haare hatte der Sturm gelöſt und trieb damit

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/217>, abgerufen am 22.11.2024.