hätschelte und küßte es, bis es stammelnd sagte: "Mutter, mein' liebe Mutter!"
So lebten die Menschen auf dem Deichgrafs- Hofe still beisammen; wäre das Kind nicht da gewesen, es hätte viel gefehlt.
Allmälig verfloß der Sommer; die Zugvögel waren durchgezogen, die Luft wurde leer vom Ge- sang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo sie beim Dreschen Körner pickten, hörte man hie und da einige kreischend davonfliegen; schon war Alles hart gefroren. In der Küche des Haupthauses saß eines Nachmittags die alte Trien' Jans auf der Holzstufe einer Treppe, die neben dem Feuer- heerd nach dem Boden lief. Es war in den letzten Wochen, als sei sie aufgelebt; sie kam jetzt gern einmal in die Küche und sah Frau Elke hier hantiren; es war keine Rede mehr davon, daß ihre Beine sie nicht hätten dahin tragen können, seit eines Tages klein Wienke sie an der Schürze hier heraufgezogen hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer Seite und sah mit seinen stillen Augen in die Flammen, die aus dem Heerdloch aufflackerten; ihr eines Händchen klammerte sich an den Aermel der
hätſchelte und küßte es, bis es ſtammelnd ſagte: „Mutter, mein' liebe Mutter!”
So lebten die Menſchen auf dem Deichgrafs- Hofe ſtill beiſammen; wäre das Kind nicht da geweſen, es hätte viel gefehlt.
Allmälig verfloß der Sommer; die Zugvögel waren durchgezogen, die Luft wurde leer vom Ge- ſang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo ſie beim Dreſchen Körner pickten, hörte man hie und da einige kreiſchend davonfliegen; ſchon war Alles hart gefroren. In der Küche des Haupthauſes ſaß eines Nachmittags die alte Trien' Jans auf der Holzſtufe einer Treppe, die neben dem Feuer- heerd nach dem Boden lief. Es war in den letzten Wochen, als ſei ſie aufgelebt; ſie kam jetzt gern einmal in die Küche und ſah Frau Elke hier hantiren; es war keine Rede mehr davon, daß ihre Beine ſie nicht hätten dahin tragen können, ſeit eines Tages klein Wienke ſie an der Schürze hier heraufgezogen hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer Seite und ſah mit ſeinen ſtillen Augen in die Flammen, die aus dem Heerdloch aufflackerten; ihr eines Händchen klammerte ſich an den Aermel der
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hätſchelte und küßte es, bis es ſtammelnd ſagte:
„Mutter, mein' liebe Mutter!”
So lebten die Menſchen auf dem Deichgrafs-
Hofe ſtill beiſammen; wäre das Kind nicht da
geweſen, es hätte viel gefehlt.
Allmälig verfloß der Sommer; die Zugvögel
waren durchgezogen, die Luft wurde leer vom Ge-
ſang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo ſie
beim Dreſchen Körner pickten, hörte man hie und
da einige kreiſchend davonfliegen; ſchon war Alles
hart gefroren. In der Küche des Haupthauſes
ſaß eines Nachmittags die alte Trien' Jans auf
der Holzſtufe einer Treppe, die neben dem Feuer-
heerd nach dem Boden lief. Es war in den letzten
Wochen, als ſei ſie aufgelebt; ſie kam jetzt gern
einmal in die Küche und ſah Frau Elke hier
hantiren; es war keine Rede mehr davon, daß ihre
Beine ſie nicht hätten dahin tragen können, ſeit
eines Tages klein Wienke ſie an der Schürze hier
heraufgezogen hatte. Jetzt kniete das Kind an ihrer
Seite und ſah mit ſeinen ſtillen Augen in die
Flammen, die aus dem Heerdloch aufflackerten; ihr
eines Händchen klammerte ſich an den Aermel der
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/192>, abgerufen am 16.02.2025.
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