Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888.Er ging; aber nicht lange war er gegangen, Kaum daß er es selber wußte, befand er sich Noch immer stand er, und seine Blicke schweiften Er ging; aber nicht lange war er gegangen, Kaum daß er es ſelber wußte, befand er ſich Noch immer ſtand er, und ſeine Blicke ſchweiften <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0115" n="103"/> <p>Er ging; aber nicht lange war er gegangen,<lb/> ſo war die Schleuſenreparatur vergeſſen. Ein anderer<lb/> Gedanke, den er, halb nur ausgedacht und ſeit<lb/> Jahren mit ſich umhergetragen hatte, der aber vor<lb/> den drängenden Amtsgeſchäften ganz zurückgetreten<lb/> war, bemächtigte ſich ſeiner jetzt aufs Neue und<lb/> mächtiger als je zuvor, als ſeien plötzlich die Flügel<lb/> ihm gewachſen.</p><lb/> <p>Kaum daß er es ſelber wußte, befand er ſich<lb/> oben auf dem Hafdeich, ſchon eine weite Strecke<lb/> ſüdwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach<lb/> dieſer Seite hinauslag, war ihm zur Linken längſt<lb/> verſchwunden; noch immer ſchritt er weiter, ſeine<lb/> Augen unabläſſig nach der Seeſeite auf das breite<lb/> Vorland gerichtet; wäre Jemand neben ihm ge-<lb/> gangen, er hätte es ſehen müſſen, welch' eindringliche<lb/> Geiſtesarbeit hinter dieſen Augen vorging. Endlich<lb/> blieb er ſtehen: das Vorland ſchwand hier zu einem<lb/> ſchmalen Streifen an dem Deich zuſammen. „Es<lb/> muß gehen!” ſprach er bei ſich ſelbſt. „Sieben<lb/> Jahr' im Amt; ſie ſollen nicht mehr ſagen, daß<lb/> ich nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!”</p><lb/> <p>Noch immer ſtand er, und ſeine Blicke ſchweiften<lb/> ſcharf und bedächtig nach allen Seiten über das<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0115]
Er ging; aber nicht lange war er gegangen,
ſo war die Schleuſenreparatur vergeſſen. Ein anderer
Gedanke, den er, halb nur ausgedacht und ſeit
Jahren mit ſich umhergetragen hatte, der aber vor
den drängenden Amtsgeſchäften ganz zurückgetreten
war, bemächtigte ſich ſeiner jetzt aufs Neue und
mächtiger als je zuvor, als ſeien plötzlich die Flügel
ihm gewachſen.
Kaum daß er es ſelber wußte, befand er ſich
oben auf dem Hafdeich, ſchon eine weite Strecke
ſüdwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach
dieſer Seite hinauslag, war ihm zur Linken längſt
verſchwunden; noch immer ſchritt er weiter, ſeine
Augen unabläſſig nach der Seeſeite auf das breite
Vorland gerichtet; wäre Jemand neben ihm ge-
gangen, er hätte es ſehen müſſen, welch' eindringliche
Geiſtesarbeit hinter dieſen Augen vorging. Endlich
blieb er ſtehen: das Vorland ſchwand hier zu einem
ſchmalen Streifen an dem Deich zuſammen. „Es
muß gehen!” ſprach er bei ſich ſelbſt. „Sieben
Jahr' im Amt; ſie ſollen nicht mehr ſagen, daß
ich nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!”
Noch immer ſtand er, und ſeine Blicke ſchweiften
ſcharf und bedächtig nach allen Seiten über das
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Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeZuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
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