"So sind wir denn doch allein geblieben," sprach sie wieder.
Aber Hauke schüttelte den Kopf: "Ich hab' sie lieb, und sie schlägt ihre Aermchen um mich und drückt sich fest an meine Brust; um alle Schätze wollt' ich das nicht missen!"
Die Frau sah finster vor sich hin: "Aber warum?" sprach sie; "was hab' ich arme Mutter denn verschuldet?"
-- "Ja, Elke, das hab' ich freilich auch ge- fragt; den, der allein es wissen kann; aber Du weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menschen keine Antwort -- vielleicht, weil wir sie nicht be- greifen würden."
Er hatte auch die andere Hand seines Weibes gefaßt und zog sie sanft zu sich heran: "Laß Dich nicht irren, Dein Kind, wie Du es thust, zu lieben; sei sicher, das versteht es!"
Da warf sich Elke an ihres Mannes Brust und weinte sich satt und war mit ihrem Leid nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte sie ihn an; nach einem heftigen Händedruck lief sie hinaus und holte sich ihr Kind aus der Kammer der alten Trien' Jans, und nahm es auf ihren Schooß und
12 *
„So ſind wir denn doch allein geblieben,” ſprach ſie wieder.
Aber Hauke ſchüttelte den Kopf: „Ich hab' ſie lieb, und ſie ſchlägt ihre Aermchen um mich und drückt ſich feſt an meine Bruſt; um alle Schätze wollt' ich das nicht miſſen!”
Die Frau ſah finſter vor ſich hin: „Aber warum?” ſprach ſie; „was hab' ich arme Mutter denn verſchuldet?”
— „Ja, Elke, das hab' ich freilich auch ge- fragt; den, der allein es wiſſen kann; aber Du weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menſchen keine Antwort — vielleicht, weil wir ſie nicht be- greifen würden.”
Er hatte auch die andere Hand ſeines Weibes gefaßt und zog ſie ſanft zu ſich heran: „Laß Dich nicht irren, Dein Kind, wie Du es thuſt, zu lieben; ſei ſicher, das verſteht es!”
Da warf ſich Elke an ihres Mannes Bruſt und weinte ſich ſatt und war mit ihrem Leid nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte ſie ihn an; nach einem heftigen Händedruck lief ſie hinaus und holte ſich ihr Kind aus der Kammer der alten Trien' Jans, und nahm es auf ihren Schooß und
12 *
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0191"n="179"/><p>„So ſind wir denn doch allein geblieben,”<lb/>ſprach ſie wieder.</p><lb/><p>Aber Hauke ſchüttelte den Kopf: „Ich hab'<lb/>ſie lieb, und ſie ſchlägt ihre Aermchen um mich<lb/>
und drückt ſich feſt an meine Bruſt; um alle<lb/>
Schätze wollt' ich das nicht miſſen!”</p><lb/><p>Die Frau ſah finſter vor ſich hin: „Aber<lb/>
warum?”ſprach ſie; „was hab' ich arme Mutter<lb/>
denn verſchuldet?”</p><lb/><p>—„Ja, Elke, das hab' ich freilich auch ge-<lb/>
fragt; den, der allein es wiſſen kann; aber Du<lb/>
weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menſchen<lb/>
keine Antwort — vielleicht, weil wir ſie nicht be-<lb/>
greifen würden.”</p><lb/><p>Er hatte auch die andere Hand ſeines Weibes<lb/>
gefaßt und zog ſie ſanft zu ſich heran: „Laß Dich<lb/>
nicht irren, Dein Kind, wie Du es thuſt, zu<lb/>
lieben; ſei ſicher, das verſteht es!”</p><lb/><p>Da warf ſich Elke an ihres Mannes Bruſt<lb/>
und weinte ſich ſatt und war mit ihrem Leid<lb/>
nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte ſie ihn<lb/>
an; nach einem heftigen Händedruck lief ſie hinaus<lb/>
und holte ſich ihr Kind aus der Kammer der alten<lb/>
Trien' Jans, und nahm es auf ihren Schooß und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">12 *</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[179/0191]
„So ſind wir denn doch allein geblieben,”
ſprach ſie wieder.
Aber Hauke ſchüttelte den Kopf: „Ich hab'
ſie lieb, und ſie ſchlägt ihre Aermchen um mich
und drückt ſich feſt an meine Bruſt; um alle
Schätze wollt' ich das nicht miſſen!”
Die Frau ſah finſter vor ſich hin: „Aber
warum?” ſprach ſie; „was hab' ich arme Mutter
denn verſchuldet?”
— „Ja, Elke, das hab' ich freilich auch ge-
fragt; den, der allein es wiſſen kann; aber Du
weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menſchen
keine Antwort — vielleicht, weil wir ſie nicht be-
greifen würden.”
Er hatte auch die andere Hand ſeines Weibes
gefaßt und zog ſie ſanft zu ſich heran: „Laß Dich
nicht irren, Dein Kind, wie Du es thuſt, zu
lieben; ſei ſicher, das verſteht es!”
Da warf ſich Elke an ihres Mannes Bruſt
und weinte ſich ſatt und war mit ihrem Leid
nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte ſie ihn
an; nach einem heftigen Händedruck lief ſie hinaus
und holte ſich ihr Kind aus der Kammer der alten
Trien' Jans, und nahm es auf ihren Schooß und
12 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/191>, abgerufen am 25.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.