-- "Wenn Sie das sehen will," entgegnete Hauke, "so muß Sie sich oben unter den Eschen- baum setzen, da sieht Sie das ganze Haf!"
"Ja," sagte die Alte; "ja, wenn ich Deine jungen Beine hätte, Deichgraf!"
Dergleichen blieb lange der Dank für die Hülfe, die ihr die Deichgrafsleute angedeihen ließen; dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine Kindskopf Wienke's guckte eines Morgens durch die halbgeöffnete Thür zu ihr herein. "Na," rief die Alte, welche mit den Händen in einander auf ihrem Holzstuhl saß, "was hast Du denn zu bestellen?"
Aber das Kind kam schweigend näher und sah sie mit ihren gleichgültigen Augen unablässig an.
"Bist Du das Deichgrafskind?" frug sie Trien' Jans, und da das Kind wie nickend das Köpfchen senkte, fuhr sie fort: "So setz' Dich hier auf meinen Schemel! Ein Angorakater ist's ge- wesen -- so groß! Aber Dein Vater hat ihn todtgeschlagen. Wenn er noch lebig wäre, so könnt'st Du auf ihm reiten."
Wienke richtete stumm ihre Augen auf das weiße Fell; dann kniete sie nieder und begann es
— „Wenn Sie das ſehen will,” entgegnete Hauke, „ſo muß Sie ſich oben unter den Eſchen- baum ſetzen, da ſieht Sie das ganze Haf!”
„Ja,” ſagte die Alte; „ja, wenn ich Deine jungen Beine hätte, Deichgraf!”
Dergleichen blieb lange der Dank für die Hülfe, die ihr die Deichgrafsleute angedeihen ließen; dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine Kindskopf Wienke's guckte eines Morgens durch die halbgeöffnete Thür zu ihr herein. „Na,” rief die Alte, welche mit den Händen in einander auf ihrem Holzſtuhl ſaß, „was haſt Du denn zu beſtellen?”
Aber das Kind kam ſchweigend näher und ſah ſie mit ihren gleichgültigen Augen unabläſſig an.
„Biſt Du das Deichgrafskind?” frug ſie Trien' Jans, und da das Kind wie nickend das Köpfchen ſenkte, fuhr ſie fort: „So ſetz' Dich hier auf meinen Schemel! Ein Angorakater iſt's ge- weſen — ſo groß! Aber Dein Vater hat ihn todtgeſchlagen. Wenn er noch lebig wäre, ſo könnt'ſt Du auf ihm reiten.”
Wienke richtete ſtumm ihre Augen auf das weiße Fell; dann kniete ſie nieder und begann es
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— „Wenn Sie das ſehen will,” entgegnete
Hauke, „ſo muß Sie ſich oben unter den Eſchen-
baum ſetzen, da ſieht Sie das ganze Haf!”
„Ja,” ſagte die Alte; „ja, wenn ich Deine
jungen Beine hätte, Deichgraf!”
Dergleichen blieb lange der Dank für die
Hülfe, die ihr die Deichgrafsleute angedeihen ließen;
dann aber wurde es auf einmal anders. Der kleine
Kindskopf Wienke's guckte eines Morgens durch
die halbgeöffnete Thür zu ihr herein. „Na,” rief
die Alte, welche mit den Händen in einander auf
ihrem Holzſtuhl ſaß, „was haſt Du denn zu
beſtellen?”
Aber das Kind kam ſchweigend näher und ſah
ſie mit ihren gleichgültigen Augen unabläſſig an.
„Biſt Du das Deichgrafskind?” frug ſie
Trien' Jans, und da das Kind wie nickend das
Köpfchen ſenkte, fuhr ſie fort: „So ſetz' Dich hier
auf meinen Schemel! Ein Angorakater iſt's ge-
weſen — ſo groß! Aber Dein Vater hat ihn
todtgeſchlagen. Wenn er noch lebig wäre, ſo
könnt'ſt Du auf ihm reiten.”
Wienke richtete ſtumm ihre Augen auf das
weiße Fell; dann kniete ſie nieder und begann es
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin)… [mehr]
Zuerst erschienen in: Deutsche Rundschau (Berlin), April/Mai 1888. Erste Buchausgabe Berlin: Paetel 1888, diese wurde für das DTA zur Digitalisierung herangezogen.
Storm, Theodor: Der Schimmelreiter. Berlin, 1888, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_schimmelreiter_1888/183>, abgerufen am 24.02.2025.
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