Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.jetzt blühten ihm seine guten rothen Wangen, nur Bart und Haare waren weiß geworden; denn wohl achtzehn Jahre mochten verflossen sein, seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten. Damals aber - es war zur Zeit meiner Selectanerschaft aus dem Johanneum zu Hamburg - hatten wir fast täglich uns gesehen; denn dort, unweit des nun verschwundenen Kaiserhofes, an dessen reich ornamentirter Facade mein Schulweg mich vorüber führte, wohnten wir beide als einzige Miether in einem zweistöckigen Häuschen, das zwischen himmelhohen Speichern aus alter Zeit zurückgeblieben war. Unsere Wirthin war eine Schifferwittwe, deren trunkfälliger Mann im Rausch durch einen Unfall sein Leben verloren und seiner Frau wohl kaum Anderes als den kleinen Fachbau hinterlassen hatte, in welchem ich eine Stube unten neben der Hausthür inne hatte. John Riewe, damals schon ein ergrauter Mann, bewohnte oben die einzige Etage; und so eines Sommerabends, auf der Bank vor der Hausthür, hatten wir Bekanntschaft gemacht. Er war lange als Capitän zur See gefahren; nach Rio, Hongkong, auch weniger fern nach Lissabon und London; kurz, er hatte mehr gesehen, als wir studirten Leute, und wußte davon zu erzählen. Endlich war er seemüde und dann hier Makler geworden. "Es jetzt blühten ihm seine guten rothen Wangen, nur Bart und Haare waren weiß geworden; denn wohl achtzehn Jahre mochten verflossen sein, seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten. Damals aber – es war zur Zeit meiner Selectanerschaft aus dem Johanneum zu Hamburg – hatten wir fast täglich uns gesehen; denn dort, unweit des nun verschwundenen Kaiserhofes, an dessen reich ornamentirter Façade mein Schulweg mich vorüber führte, wohnten wir beide als einzige Miether in einem zweistöckigen Häuschen, das zwischen himmelhohen Speichern aus alter Zeit zurückgeblieben war. Unsere Wirthin war eine Schifferwittwe, deren trunkfälliger Mann im Rausch durch einen Unfall sein Leben verloren und seiner Frau wohl kaum Anderes als den kleinen Fachbau hinterlassen hatte, in welchem ich eine Stube unten neben der Hausthür inne hatte. John Riewe, damals schon ein ergrauter Mann, bewohnte oben die einzige Etage; und so eines Sommerabends, auf der Bank vor der Hausthür, hatten wir Bekanntschaft gemacht. Er war lange als Capitän zur See gefahren; nach Rio, Hongkong, auch weniger fern nach Lissabon und London; kurz, er hatte mehr gesehen, als wir studirten Leute, und wußte davon zu erzählen. Endlich war er seemüde und dann hier Makler geworden. „Es <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0017" n="13"/> jetzt blühten ihm seine guten rothen Wangen, nur Bart und Haare waren weiß geworden; denn wohl achtzehn Jahre mochten verflossen sein, seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten. Damals aber – es war zur Zeit meiner Selectanerschaft aus dem Johanneum zu Hamburg – hatten wir fast täglich uns gesehen; denn dort, unweit des nun verschwundenen Kaiserhofes, an dessen reich ornamentirter Façade mein Schulweg mich vorüber führte, wohnten wir beide als einzige Miether in einem zweistöckigen Häuschen, das zwischen himmelhohen Speichern aus alter Zeit zurückgeblieben war. Unsere Wirthin war eine Schifferwittwe, deren trunkfälliger Mann im Rausch durch einen Unfall sein Leben verloren und seiner Frau wohl kaum Anderes als den kleinen Fachbau hinterlassen hatte, in welchem ich eine Stube unten neben der Hausthür inne hatte. John Riewe, damals schon ein ergrauter Mann, bewohnte oben die einzige Etage; und so eines Sommerabends, auf der Bank vor der Hausthür, hatten wir Bekanntschaft gemacht. Er war lange als Capitän zur See gefahren; nach Rio, Hongkong, auch weniger fern nach Lissabon und London; kurz, er hatte mehr gesehen, als wir studirten Leute, und wußte davon zu erzählen. Endlich war er seemüde und dann hier Makler geworden. „Es </p> </div> </body> </text> </TEI> [13/0017]
jetzt blühten ihm seine guten rothen Wangen, nur Bart und Haare waren weiß geworden; denn wohl achtzehn Jahre mochten verflossen sein, seitdem wir uns zuletzt gesehen hatten. Damals aber – es war zur Zeit meiner Selectanerschaft aus dem Johanneum zu Hamburg – hatten wir fast täglich uns gesehen; denn dort, unweit des nun verschwundenen Kaiserhofes, an dessen reich ornamentirter Façade mein Schulweg mich vorüber führte, wohnten wir beide als einzige Miether in einem zweistöckigen Häuschen, das zwischen himmelhohen Speichern aus alter Zeit zurückgeblieben war. Unsere Wirthin war eine Schifferwittwe, deren trunkfälliger Mann im Rausch durch einen Unfall sein Leben verloren und seiner Frau wohl kaum Anderes als den kleinen Fachbau hinterlassen hatte, in welchem ich eine Stube unten neben der Hausthür inne hatte. John Riewe, damals schon ein ergrauter Mann, bewohnte oben die einzige Etage; und so eines Sommerabends, auf der Bank vor der Hausthür, hatten wir Bekanntschaft gemacht. Er war lange als Capitän zur See gefahren; nach Rio, Hongkong, auch weniger fern nach Lissabon und London; kurz, er hatte mehr gesehen, als wir studirten Leute, und wußte davon zu erzählen. Endlich war er seemüde und dann hier Makler geworden. „Es
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/17>, abgerufen am 16.02.2025. |