Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.Mondlicht schimmerte auf einem Silberreife, der das dunkle Haar umfing. Da befiel den Mann am Waldesrand die sehnende Schwere, die allein nicht mehr zu tragen war; es drängte ihn hinaus ins Helle, und die Arme ihr entgegenstreckend, rief er. "O Schöne, Selige! Gott woll' ein süßes Leben so süßem Geschöpfe geben!" Sie erschrak und bog sich von der Mauer weg; doch dann besann sie sich: die Worte waren ja aus Meister Gottfrieds Tristan; nur daß sie in Frankreichs Zunge dort geschrieben waren! Sie hatte sie eines Tags gelesen; aber die Base hatte ihr voll Angst das Buch entrissen; so etwas sei noch nicht für ihre Jugend! Nun kam der Reiz, zu zeigen was sie wisse. "Das ist kein Landfahrer, der ist nicht zu fürchten!" sprach es in ihrem Inneren; und als sie wieder sich erhob, erblickte sie drunten den schönen Junkherrn in blitzendem Gewande und sah das Mondlicht auf seinem goldenen Blondhaar spielen; denn er hatte sein Haupt entblößt und hielt die Kappe mit der Reiherfeder in einer seiner Hände, die er wie anbetend ihr entgegenstreckte. Da faßte sie Muth und rief ihm aus demselben Buche ihre Antwort: "De te benie! Gott Mondlicht schimmerte auf einem Silberreife, der das dunkle Haar umfing. Da befiel den Mann am Waldesrand die sehnende Schwere, die allein nicht mehr zu tragen war; es drängte ihn hinaus ins Helle, und die Arme ihr entgegenstreckend, rief er. „O Schöne, Selige! Gott woll’ ein süßes Leben so süßem Geschöpfe geben!“ Sie erschrak und bog sich von der Mauer weg; doch dann besann sie sich: die Worte waren ja aus Meister Gottfrieds Tristan; nur daß sie in Frankreichs Zunge dort geschrieben waren! Sie hatte sie eines Tags gelesen; aber die Base hatte ihr voll Angst das Buch entrissen; so etwas sei noch nicht für ihre Jugend! Nun kam der Reiz, zu zeigen was sie wisse. „Das ist kein Landfahrer, der ist nicht zu fürchten!“ sprach es in ihrem Inneren; und als sie wieder sich erhob, erblickte sie drunten den schönen Junkherrn in blitzendem Gewande und sah das Mondlicht auf seinem goldenen Blondhaar spielen; denn er hatte sein Haupt entblößt und hielt die Kappe mit der Reiherfeder in einer seiner Hände, die er wie anbetend ihr entgegenstreckte. Da faßte sie Muth und rief ihm aus demselben Buche ihre Antwort: „Dé te benie! Gott <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0149" n="145"/> Mondlicht schimmerte auf einem Silberreife, der das dunkle Haar umfing.</p> <p>Da befiel den Mann am Waldesrand die sehnende Schwere, die allein nicht mehr zu tragen war; es drängte ihn hinaus ins Helle, und die Arme ihr entgegenstreckend, rief er. „O Schöne, Selige! Gott woll’ ein süßes Leben so süßem Geschöpfe geben!“</p> <p>Sie erschrak und bog sich von der Mauer weg; doch dann besann sie sich: die Worte waren ja aus Meister Gottfrieds Tristan; nur daß sie in Frankreichs Zunge dort geschrieben waren! Sie hatte sie eines Tags gelesen; aber die Base hatte ihr voll Angst das Buch entrissen; so etwas sei noch nicht für ihre Jugend! Nun kam der Reiz, zu zeigen was sie wisse. „Das ist kein Landfahrer, der ist nicht zu fürchten!“ sprach es in ihrem Inneren; und als sie wieder sich erhob, erblickte sie drunten den schönen Junkherrn in blitzendem Gewande und sah das Mondlicht auf seinem goldenen Blondhaar spielen; denn er hatte sein Haupt entblößt und hielt die Kappe mit der Reiherfeder in einer seiner Hände, die er wie anbetend ihr entgegenstreckte. Da faßte sie Muth und rief ihm aus demselben Buche ihre Antwort: „<hi rendition="#aq">Dé te benie!</hi> Gott </p> </div> </body> </text> </TEI> [145/0149]
Mondlicht schimmerte auf einem Silberreife, der das dunkle Haar umfing.
Da befiel den Mann am Waldesrand die sehnende Schwere, die allein nicht mehr zu tragen war; es drängte ihn hinaus ins Helle, und die Arme ihr entgegenstreckend, rief er. „O Schöne, Selige! Gott woll’ ein süßes Leben so süßem Geschöpfe geben!“
Sie erschrak und bog sich von der Mauer weg; doch dann besann sie sich: die Worte waren ja aus Meister Gottfrieds Tristan; nur daß sie in Frankreichs Zunge dort geschrieben waren! Sie hatte sie eines Tags gelesen; aber die Base hatte ihr voll Angst das Buch entrissen; so etwas sei noch nicht für ihre Jugend! Nun kam der Reiz, zu zeigen was sie wisse. „Das ist kein Landfahrer, der ist nicht zu fürchten!“ sprach es in ihrem Inneren; und als sie wieder sich erhob, erblickte sie drunten den schönen Junkherrn in blitzendem Gewande und sah das Mondlicht auf seinem goldenen Blondhaar spielen; denn er hatte sein Haupt entblößt und hielt die Kappe mit der Reiherfeder in einer seiner Hände, die er wie anbetend ihr entgegenstreckte. Da faßte sie Muth und rief ihm aus demselben Buche ihre Antwort: „Dé te benie! Gott
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/149 |
Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/149>, abgerufen am 16.02.2025. |