Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

- - Die Männer hatten sich verabschiedet; die Frau war im Gemach zurückgeblieben; sie stand und horchte den Schritten nach, die in dem Saal verhallten, der vor ihrem Zimmer lag; dann konnte sie's nicht lassen, die Thür zu öffnen, als wolle sie die Spuren des ihr eigen gewordenen schönen Mannes noch auf den Dielen suchen. Als sie sich umblickte, sah sie auf einem Schemel, hart an der Thür, den Schreiber Gaspard sitzen; seine braune Gugelkappe, die hinten mit dem gleichfarbigen Rock zusammenhing, war ihm von dem kurzen Schwarzhaar abgeglitten, so daß sie mit Schwanz und Kugel ihm im Nacken hing; er saß mit gekreuzten Beinen und sah mit schief herabgesenktem Kopfe auf die Dielen, als wolle er dort etwas mit seiner spitzen Schnabelnase aufpicken. Es war ein seltsamer Gesell mit einem scharfen ältlichen Gesicht; er mischte sich gern in anderer Leute Sachen und war voll Lied- und Spruchweisheit; das Gesinde aber nannte ihn "Gaspard den Raben", und der Rabe galt viel bei seiner Herrschaft.

"Du bist es?" sprach die schöne Frau. "Was hast Du hier Geschäfte?"

"Ich konnte sie bei Euch nicht finden, Herrin;" entgegnete er, ohne aufzusehen.

– – Die Männer hatten sich verabschiedet; die Frau war im Gemach zurückgeblieben; sie stand und horchte den Schritten nach, die in dem Saal verhallten, der vor ihrem Zimmer lag; dann konnte sie’s nicht lassen, die Thür zu öffnen, als wolle sie die Spuren des ihr eigen gewordenen schönen Mannes noch auf den Dielen suchen. Als sie sich umblickte, sah sie auf einem Schemel, hart an der Thür, den Schreiber Gaspard sitzen; seine braune Gugelkappe, die hinten mit dem gleichfarbigen Rock zusammenhing, war ihm von dem kurzen Schwarzhaar abgeglitten, so daß sie mit Schwanz und Kugel ihm im Nacken hing; er saß mit gekreuzten Beinen und sah mit schief herabgesenktem Kopfe auf die Dielen, als wolle er dort etwas mit seiner spitzen Schnabelnase aufpicken. Es war ein seltsamer Gesell mit einem scharfen ältlichen Gesicht; er mischte sich gern in anderer Leute Sachen und war voll Lied- und Spruchweisheit; das Gesinde aber nannte ihn „Gaspard den Raben“, und der Rabe galt viel bei seiner Herrschaft.

„Du bist es?“ sprach die schöne Frau. „Was hast Du hier Geschäfte?“

„Ich konnte sie bei Euch nicht finden, Herrin;“ entgegnete er, ohne aufzusehen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0120" n="116"/>
        <p>&#x2013; &#x2013; Die Männer hatten sich verabschiedet; die Frau war im Gemach zurückgeblieben; sie stand und horchte den Schritten nach, die in dem Saal verhallten, der vor ihrem Zimmer lag; dann konnte sie&#x2019;s nicht lassen, die Thür zu öffnen, als wolle sie die Spuren des ihr eigen gewordenen schönen Mannes noch auf den Dielen suchen. Als sie sich umblickte, sah sie auf einem Schemel, hart an der Thür, den Schreiber Gaspard sitzen; seine braune Gugelkappe, die hinten mit dem gleichfarbigen Rock zusammenhing, war ihm von dem kurzen Schwarzhaar abgeglitten, so daß sie mit Schwanz und Kugel ihm im Nacken hing; er saß mit gekreuzten Beinen und sah mit schief herabgesenktem Kopfe auf die Dielen, als wolle er dort etwas mit seiner spitzen Schnabelnase aufpicken. Es war ein seltsamer Gesell mit einem scharfen ältlichen Gesicht; er mischte sich gern in anderer Leute Sachen und war voll Lied- und Spruchweisheit; das Gesinde aber nannte ihn &#x201E;Gaspard den Raben&#x201C;, und der Rabe galt viel bei seiner Herrschaft.</p>
        <p>&#x201E;Du bist es?&#x201C; sprach die schöne Frau. &#x201E;Was hast Du hier Geschäfte?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ich konnte sie bei Euch nicht finden, Herrin;&#x201C; entgegnete er, ohne aufzusehen.</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[116/0120] – – Die Männer hatten sich verabschiedet; die Frau war im Gemach zurückgeblieben; sie stand und horchte den Schritten nach, die in dem Saal verhallten, der vor ihrem Zimmer lag; dann konnte sie’s nicht lassen, die Thür zu öffnen, als wolle sie die Spuren des ihr eigen gewordenen schönen Mannes noch auf den Dielen suchen. Als sie sich umblickte, sah sie auf einem Schemel, hart an der Thür, den Schreiber Gaspard sitzen; seine braune Gugelkappe, die hinten mit dem gleichfarbigen Rock zusammenhing, war ihm von dem kurzen Schwarzhaar abgeglitten, so daß sie mit Schwanz und Kugel ihm im Nacken hing; er saß mit gekreuzten Beinen und sah mit schief herabgesenktem Kopfe auf die Dielen, als wolle er dort etwas mit seiner spitzen Schnabelnase aufpicken. Es war ein seltsamer Gesell mit einem scharfen ältlichen Gesicht; er mischte sich gern in anderer Leute Sachen und war voll Lied- und Spruchweisheit; das Gesinde aber nannte ihn „Gaspard den Raben“, und der Rabe galt viel bei seiner Herrschaft. „Du bist es?“ sprach die schöne Frau. „Was hast Du hier Geschäfte?“ „Ich konnte sie bei Euch nicht finden, Herrin;“ entgegnete er, ohne aufzusehen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk stammt von Wikisource (John_Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuus).

Quelle der Scans: Wikimedia Commons (John Riew’, Ein Fest auf Haderslevhuss).

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/120
Zitationshilfe: Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/120>, abgerufen am 03.05.2024.