Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.sie, indem sie durch die Zaunlücke in den Garten wies; "sieh' nur, dort unter dem großen Apfelbaum stehen zwei Frauen und reden miteinander; das ist mir hier noch nimmer vorgekommen." Wir sahen sonst nichts weiter; aber meine Frau hatte recht geschlossen; noch am selben Abend lief es durch das Dorf, die Haushälterin, wie die alte Frau im rothen Haus benannt wurde, habe seit jenem Vormittag ihr Tagewerk auf immer eingestellt. Einige Tage später wurde ein Sarg auf der Landstraße an meinem Hause vorbeigetragen, hinter welchem nur ein weißhaariger Mann mit einem Knaben ging; aber der Zug war, als ich vor die Thür kam, schon zu weit entfernt, das Antlitz der Beiden konnte ich nicht mehr sehen; mein Nachbar, der zu mir trat, sagte: "Der arme Bursche sah aus, wie der Tod selber; es war seine Großmutter, die sie nun bei der Kirche da begraben; seine Mutter soll er nie gekannt haben." "Der arme Junge!" dachte auch ich; "was wird aus ihm, wird der Alte sich allein nun mit ihm abgeben?" Als ich mit Frau und Kindern am Nachmittagsthee saß, bei dem goldnen Herbstsonnenschein noch einmal im Freien auf der Terrasse, brach aus dem sie, indem sie durch die Zaunlücke in den Garten wies; „sieh’ nur, dort unter dem großen Apfelbaum stehen zwei Frauen und reden miteinander; das ist mir hier noch nimmer vorgekommen.“ Wir sahen sonst nichts weiter; aber meine Frau hatte recht geschlossen; noch am selben Abend lief es durch das Dorf, die Haushälterin, wie die alte Frau im rothen Haus benannt wurde, habe seit jenem Vormittag ihr Tagewerk auf immer eingestellt. Einige Tage später wurde ein Sarg auf der Landstraße an meinem Hause vorbeigetragen, hinter welchem nur ein weißhaariger Mann mit einem Knaben ging; aber der Zug war, als ich vor die Thür kam, schon zu weit entfernt, das Antlitz der Beiden konnte ich nicht mehr sehen; mein Nachbar, der zu mir trat, sagte: „Der arme Bursche sah aus, wie der Tod selber; es war seine Großmutter, die sie nun bei der Kirche da begraben; seine Mutter soll er nie gekannt haben.“ „Der arme Junge!“ dachte auch ich; „was wird aus ihm, wird der Alte sich allein nun mit ihm abgeben?“ Als ich mit Frau und Kindern am Nachmittagsthee saß, bei dem goldnen Herbstsonnenschein noch einmal im Freien auf der Terrasse, brach aus dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0012" n="8"/> sie, indem sie durch die Zaunlücke in den Garten wies; „sieh’ nur, dort unter dem großen Apfelbaum stehen zwei Frauen und reden miteinander; das ist mir hier noch nimmer vorgekommen.“</p> <p>Wir sahen sonst nichts weiter; aber meine Frau hatte recht geschlossen; noch am selben Abend lief es durch das Dorf, die Haushälterin, wie die alte Frau im rothen Haus benannt wurde, habe seit jenem Vormittag ihr Tagewerk auf immer eingestellt. Einige Tage später wurde ein Sarg auf der Landstraße an meinem Hause vorbeigetragen, hinter welchem nur ein weißhaariger Mann mit einem Knaben ging; aber der Zug war, als ich vor die Thür kam, schon zu weit entfernt, das Antlitz der Beiden konnte ich nicht mehr sehen; mein Nachbar, der zu mir trat, sagte: „Der arme Bursche sah aus, wie der Tod selber; es war seine Großmutter, die sie nun bei der Kirche da begraben; seine Mutter soll er nie gekannt haben.“</p> <p>„Der arme Junge!“ dachte auch ich; „was wird aus ihm, wird der Alte sich allein nun mit ihm abgeben?“</p> <p>Als ich mit Frau und Kindern am Nachmittagsthee saß, bei dem goldnen Herbstsonnenschein noch einmal im Freien auf der Terrasse, brach aus dem </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0012]
sie, indem sie durch die Zaunlücke in den Garten wies; „sieh’ nur, dort unter dem großen Apfelbaum stehen zwei Frauen und reden miteinander; das ist mir hier noch nimmer vorgekommen.“
Wir sahen sonst nichts weiter; aber meine Frau hatte recht geschlossen; noch am selben Abend lief es durch das Dorf, die Haushälterin, wie die alte Frau im rothen Haus benannt wurde, habe seit jenem Vormittag ihr Tagewerk auf immer eingestellt. Einige Tage später wurde ein Sarg auf der Landstraße an meinem Hause vorbeigetragen, hinter welchem nur ein weißhaariger Mann mit einem Knaben ging; aber der Zug war, als ich vor die Thür kam, schon zu weit entfernt, das Antlitz der Beiden konnte ich nicht mehr sehen; mein Nachbar, der zu mir trat, sagte: „Der arme Bursche sah aus, wie der Tod selber; es war seine Großmutter, die sie nun bei der Kirche da begraben; seine Mutter soll er nie gekannt haben.“
„Der arme Junge!“ dachte auch ich; „was wird aus ihm, wird der Alte sich allein nun mit ihm abgeben?“
Als ich mit Frau und Kindern am Nachmittagsthee saß, bei dem goldnen Herbstsonnenschein noch einmal im Freien auf der Terrasse, brach aus dem
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/12>, abgerufen am 16.02.2025. |