Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.Land hinausreiten. Ihr blondes Goldhaar zog sie langsam durch die Finger, und ihre weißen Zähne zerbissen einen Strohhalm, den sie aufgegriffen hatte. "Die Ratten!" brach es plötzlich von ihren Lippen, und sie fühlte, wie jählings ihr das Blut zum Hals hinaufstieg. Aber sie wurde es nicht los; es kam ihr immer wieder. "Die Ratten!" Es verfolgte sie auf Trepp und Gängen, und in der Krankenkammer war es unverjagbar. Und als der Abend kam, da trieb es sie im Dunkeln zu der Truhe, und ihre zitternde Hand tappte nach dem Rest des Pulvers. In dem Trunke, den Frau Wulfhild an diesem Abend ihrem Eheherrn gab, trank er den Tod hinunter. Zwei Tage später war in dem düsteren Hausgang die Leiche ausgestellt; doch nur Frau Wulfhild stand hoch aufgerichtet mit untergeschlagenen Armen an der Todtenlade und sah mit immer größer werdenden Augen auf das harte Leichenantlitz. "Leb' wohl, Hans Pogwisch!" sprach sie; "der Kampf ist aus; auch zwischen uns! Ich habe Deiner Hand mich schwer erwehrt! - Ein andermal ... doch, das kümmert Dich nicht mehr!" Eine Dienerin war eingetreten mit den Trauergewändern auf den Armen; und schweigend wandte sich die Wittwe von dem Todten und schritt mit ihr Land hinausreiten. Ihr blondes Goldhaar zog sie langsam durch die Finger, und ihre weißen Zähne zerbissen einen Strohhalm, den sie aufgegriffen hatte. „Die Ratten!“ brach es plötzlich von ihren Lippen, und sie fühlte, wie jählings ihr das Blut zum Hals hinaufstieg. Aber sie wurde es nicht los; es kam ihr immer wieder. „Die Ratten!“ Es verfolgte sie auf Trepp und Gängen, und in der Krankenkammer war es unverjagbar. Und als der Abend kam, da trieb es sie im Dunkeln zu der Truhe, und ihre zitternde Hand tappte nach dem Rest des Pulvers. In dem Trunke, den Frau Wulfhild an diesem Abend ihrem Eheherrn gab, trank er den Tod hinunter. Zwei Tage später war in dem düsteren Hausgang die Leiche ausgestellt; doch nur Frau Wulfhild stand hoch aufgerichtet mit untergeschlagenen Armen an der Todtenlade und sah mit immer größer werdenden Augen auf das harte Leichenantlitz. „Leb’ wohl, Hans Pogwisch!“ sprach sie; „der Kampf ist aus; auch zwischen uns! Ich habe Deiner Hand mich schwer erwehrt! – Ein andermal … doch, das kümmert Dich nicht mehr!“ Eine Dienerin war eingetreten mit den Trauergewändern auf den Armen; und schweigend wandte sich die Wittwe von dem Todten und schritt mit ihr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0115" n="111"/> Land hinausreiten. Ihr blondes Goldhaar zog sie langsam durch die Finger, und ihre weißen Zähne zerbissen einen Strohhalm, den sie aufgegriffen hatte. „Die Ratten!“ brach es plötzlich von ihren Lippen, und sie fühlte, wie jählings ihr das Blut zum Hals hinaufstieg. Aber sie wurde es nicht los; es kam ihr immer wieder. „Die Ratten!“ Es verfolgte sie auf Trepp und Gängen, und in der Krankenkammer war es unverjagbar. Und als der Abend kam, da trieb es sie im Dunkeln zu der Truhe, und ihre zitternde Hand tappte nach dem Rest des Pulvers. In dem Trunke, den Frau Wulfhild an diesem Abend ihrem Eheherrn gab, trank er den Tod hinunter.</p> <p>Zwei Tage später war in dem düsteren Hausgang die Leiche ausgestellt; doch nur Frau Wulfhild stand hoch aufgerichtet mit untergeschlagenen Armen an der Todtenlade und sah mit immer größer werdenden Augen auf das harte Leichenantlitz. „Leb’ wohl, Hans Pogwisch!“ sprach sie; „der Kampf ist aus; auch zwischen uns! Ich habe Deiner Hand mich schwer erwehrt! – Ein andermal … doch, das kümmert Dich nicht mehr!“</p> <p>Eine Dienerin war eingetreten mit den Trauergewändern auf den Armen; und schweigend wandte sich die Wittwe von dem Todten und schritt mit ihr </p> </div> </body> </text> </TEI> [111/0115]
Land hinausreiten. Ihr blondes Goldhaar zog sie langsam durch die Finger, und ihre weißen Zähne zerbissen einen Strohhalm, den sie aufgegriffen hatte. „Die Ratten!“ brach es plötzlich von ihren Lippen, und sie fühlte, wie jählings ihr das Blut zum Hals hinaufstieg. Aber sie wurde es nicht los; es kam ihr immer wieder. „Die Ratten!“ Es verfolgte sie auf Trepp und Gängen, und in der Krankenkammer war es unverjagbar. Und als der Abend kam, da trieb es sie im Dunkeln zu der Truhe, und ihre zitternde Hand tappte nach dem Rest des Pulvers. In dem Trunke, den Frau Wulfhild an diesem Abend ihrem Eheherrn gab, trank er den Tod hinunter.
Zwei Tage später war in dem düsteren Hausgang die Leiche ausgestellt; doch nur Frau Wulfhild stand hoch aufgerichtet mit untergeschlagenen Armen an der Todtenlade und sah mit immer größer werdenden Augen auf das harte Leichenantlitz. „Leb’ wohl, Hans Pogwisch!“ sprach sie; „der Kampf ist aus; auch zwischen uns! Ich habe Deiner Hand mich schwer erwehrt! – Ein andermal … doch, das kümmert Dich nicht mehr!“
Eine Dienerin war eingetreten mit den Trauergewändern auf den Armen; und schweigend wandte sich die Wittwe von dem Todten und schritt mit ihr
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