Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.Sie hatte während des Krieges sich auf ihren holsteinischen Hof zurückgezogen, und als ihr Eheherr ihr dort sterbenswund ins Haus gebracht war, saß sie in Geduld an seinem Lager. Der Scharfrichter aus der nächsten Stadt war dagewesen, hatte verbunden und mit dem Apolloniusspflaster zusammengeklebt; aber er hatte dabei den Kopf geschüttelt. Frau Wulfhild legte immer wieder nasse Binden auf; sie that das wie ein anderes Geschäft, das sich von selbst verstand; die Ruhe auf ihrem schönen Antlitz aber war nicht die sichere Hoffnung auf Genesung des Verwundeten, denn es wurde heiterer, je bleicher Tag für Tag der Kranke wurde. Sie nickte und sprach unhörbar zu sich selber. "Geduld, noch eine kurze Weile!" Denn der jetzt unmächtig vor ihr lag, er hatte in Trunk und Spiel und wüstem Lärm sein Leben hingebracht; um grobhaariger Dirnen willen hatte er offen sein schönes Weib verachtet. Nur über einzelne Worte hatte er jetzt mitunter noch Gewalt; auch die, so hoffte sie, sollen bald verstummen. Harrend saß sie in dem dumpfen Krankenzimmer und hörte gleichgültig auf die Ratten, die in Schaaren über ihnen auf dem Boden rannten. Aber der Sterbende wollte Ruhe haben; er griff jäh nach seines Weibes Hand und wies mit kaum erhobenem Sie hatte während des Krieges sich auf ihren holsteinischen Hof zurückgezogen, und als ihr Eheherr ihr dort sterbenswund ins Haus gebracht war, saß sie in Geduld an seinem Lager. Der Scharfrichter aus der nächsten Stadt war dagewesen, hatte verbunden und mit dem Apolloniusspflaster zusammengeklebt; aber er hatte dabei den Kopf geschüttelt. Frau Wulfhild legte immer wieder nasse Binden auf; sie that das wie ein anderes Geschäft, das sich von selbst verstand; die Ruhe auf ihrem schönen Antlitz aber war nicht die sichere Hoffnung auf Genesung des Verwundeten, denn es wurde heiterer, je bleicher Tag für Tag der Kranke wurde. Sie nickte und sprach unhörbar zu sich selber. „Geduld, noch eine kurze Weile!“ Denn der jetzt unmächtig vor ihr lag, er hatte in Trunk und Spiel und wüstem Lärm sein Leben hingebracht; um grobhaariger Dirnen willen hatte er offen sein schönes Weib verachtet. Nur über einzelne Worte hatte er jetzt mitunter noch Gewalt; auch die, so hoffte sie, sollen bald verstummen. Harrend saß sie in dem dumpfen Krankenzimmer und hörte gleichgültig auf die Ratten, die in Schaaren über ihnen auf dem Boden rannten. Aber der Sterbende wollte Ruhe haben; er griff jäh nach seines Weibes Hand und wies mit kaum erhobenem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0113" n="109"/> <p>Sie hatte während des Krieges sich auf ihren holsteinischen Hof zurückgezogen, und als ihr Eheherr ihr dort sterbenswund ins Haus gebracht war, saß sie in Geduld an seinem Lager. Der Scharfrichter aus der nächsten Stadt war dagewesen, hatte verbunden und mit dem Apolloniusspflaster zusammengeklebt; aber er hatte dabei den Kopf geschüttelt. Frau Wulfhild legte immer wieder nasse Binden auf; sie that das wie ein anderes Geschäft, das sich von selbst verstand; die Ruhe auf ihrem schönen Antlitz aber war nicht die sichere Hoffnung auf Genesung des Verwundeten, denn es wurde heiterer, je bleicher Tag für Tag der Kranke wurde. Sie nickte und sprach unhörbar zu sich selber. „Geduld, noch eine kurze Weile!“ Denn der jetzt unmächtig vor ihr lag, er hatte in Trunk und Spiel und wüstem Lärm sein Leben hingebracht; um grobhaariger Dirnen willen hatte er offen sein schönes Weib verachtet.</p> <p>Nur über einzelne Worte hatte er jetzt mitunter noch Gewalt; auch die, so hoffte sie, sollen bald verstummen. Harrend saß sie in dem dumpfen Krankenzimmer und hörte gleichgültig auf die Ratten, die in Schaaren über ihnen auf dem Boden rannten. Aber der Sterbende wollte Ruhe haben; er griff jäh nach seines Weibes Hand und wies mit kaum erhobenem </p> </div> </body> </text> </TEI> [109/0113]
Sie hatte während des Krieges sich auf ihren holsteinischen Hof zurückgezogen, und als ihr Eheherr ihr dort sterbenswund ins Haus gebracht war, saß sie in Geduld an seinem Lager. Der Scharfrichter aus der nächsten Stadt war dagewesen, hatte verbunden und mit dem Apolloniusspflaster zusammengeklebt; aber er hatte dabei den Kopf geschüttelt. Frau Wulfhild legte immer wieder nasse Binden auf; sie that das wie ein anderes Geschäft, das sich von selbst verstand; die Ruhe auf ihrem schönen Antlitz aber war nicht die sichere Hoffnung auf Genesung des Verwundeten, denn es wurde heiterer, je bleicher Tag für Tag der Kranke wurde. Sie nickte und sprach unhörbar zu sich selber. „Geduld, noch eine kurze Weile!“ Denn der jetzt unmächtig vor ihr lag, er hatte in Trunk und Spiel und wüstem Lärm sein Leben hingebracht; um grobhaariger Dirnen willen hatte er offen sein schönes Weib verachtet.
Nur über einzelne Worte hatte er jetzt mitunter noch Gewalt; auch die, so hoffte sie, sollen bald verstummen. Harrend saß sie in dem dumpfen Krankenzimmer und hörte gleichgültig auf die Ratten, die in Schaaren über ihnen auf dem Boden rannten. Aber der Sterbende wollte Ruhe haben; er griff jäh nach seines Weibes Hand und wies mit kaum erhobenem
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