Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885.diese machten ihn zu einem Makler, die Anderen zu einem früheren Schiffscapitän; ich hätte mich bei der Gutsobrigkeit erkundigen können; aber, obgleich die Dinge mich sonderbar interessirten, welche Veranlassung hätte ich zu solch' officieller Erkundigung gehabt? Der hohe, seitwärts von dem Hause fortlaufende und mit einem dichten Dornenzaun besetzte Erdwall begrenzte nach der Straße hin den durch alte Obstbäume verdüsterten Garten, welcher sich nach einer Waldwiese abwärts senkte. Im Sommer freilich war Alles durch den Zaun verdeckt; aber jetzt war es Herbst, die Drosseln fielen in die rothen Beeren, und eine Fülle bunten Laubes war von den Alleebäumen schon aus den Weg gefallen; als ich eines Spätnachmittags jetzt dort vorüber ging, gewahrte ich eine entblätterte Stelle in dem Zaun und blieb stehen, um einen Blick in das sonst unsichtbare Gartengrundstück hinein zu werfen. Ich hatte mich aus den Fußspitzen erhoben; aber ich erschrak fast: ein blasses und - so erschien es mir - wunderbar schönes Knabenantlitz mit dunkelgelocktem Haupthaar stand dicht vor dem meinen und sah von der anderen Seite mir starr und schweigend entgegen; ich gewahrte noch, daß die großen, gleichfalls dunkeln diese machten ihn zu einem Makler, die Anderen zu einem früheren Schiffscapitän; ich hätte mich bei der Gutsobrigkeit erkundigen können; aber, obgleich die Dinge mich sonderbar interessirten, welche Veranlassung hätte ich zu solch’ officieller Erkundigung gehabt? Der hohe, seitwärts von dem Hause fortlaufende und mit einem dichten Dornenzaun besetzte Erdwall begrenzte nach der Straße hin den durch alte Obstbäume verdüsterten Garten, welcher sich nach einer Waldwiese abwärts senkte. Im Sommer freilich war Alles durch den Zaun verdeckt; aber jetzt war es Herbst, die Drosseln fielen in die rothen Beeren, und eine Fülle bunten Laubes war von den Alleebäumen schon aus den Weg gefallen; als ich eines Spätnachmittags jetzt dort vorüber ging, gewahrte ich eine entblätterte Stelle in dem Zaun und blieb stehen, um einen Blick in das sonst unsichtbare Gartengrundstück hinein zu werfen. Ich hatte mich aus den Fußspitzen erhoben; aber ich erschrak fast: ein blasses und – so erschien es mir – wunderbar schönes Knabenantlitz mit dunkelgelocktem Haupthaar stand dicht vor dem meinen und sah von der anderen Seite mir starr und schweigend entgegen; ich gewahrte noch, daß die großen, gleichfalls dunkeln <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0010" n="6"/> diese machten ihn zu einem Makler, die Anderen zu einem früheren Schiffscapitän; ich hätte mich bei der Gutsobrigkeit erkundigen können; aber, obgleich die Dinge mich sonderbar interessirten, welche Veranlassung hätte ich zu solch’ officieller Erkundigung gehabt?</p> <p>Der hohe, seitwärts von dem Hause fortlaufende und mit einem dichten Dornenzaun besetzte Erdwall begrenzte nach der Straße hin den durch alte Obstbäume verdüsterten Garten, welcher sich nach einer Waldwiese abwärts senkte. Im Sommer freilich war Alles durch den Zaun verdeckt; aber jetzt war es Herbst, die Drosseln fielen in die rothen Beeren, und eine Fülle bunten Laubes war von den Alleebäumen schon aus den Weg gefallen; als ich eines Spätnachmittags jetzt dort vorüber ging, gewahrte ich eine entblätterte Stelle in dem Zaun und blieb stehen, um einen Blick in das sonst unsichtbare Gartengrundstück hinein zu werfen. Ich hatte mich aus den Fußspitzen erhoben; aber ich erschrak fast: ein blasses und – so erschien es mir – wunderbar schönes Knabenantlitz mit dunkelgelocktem Haupthaar stand dicht vor dem meinen und sah von der anderen Seite mir starr und schweigend entgegen; ich gewahrte noch, daß die großen, gleichfalls dunkeln </p> </div> </body> </text> </TEI> [6/0010]
diese machten ihn zu einem Makler, die Anderen zu einem früheren Schiffscapitän; ich hätte mich bei der Gutsobrigkeit erkundigen können; aber, obgleich die Dinge mich sonderbar interessirten, welche Veranlassung hätte ich zu solch’ officieller Erkundigung gehabt?
Der hohe, seitwärts von dem Hause fortlaufende und mit einem dichten Dornenzaun besetzte Erdwall begrenzte nach der Straße hin den durch alte Obstbäume verdüsterten Garten, welcher sich nach einer Waldwiese abwärts senkte. Im Sommer freilich war Alles durch den Zaun verdeckt; aber jetzt war es Herbst, die Drosseln fielen in die rothen Beeren, und eine Fülle bunten Laubes war von den Alleebäumen schon aus den Weg gefallen; als ich eines Spätnachmittags jetzt dort vorüber ging, gewahrte ich eine entblätterte Stelle in dem Zaun und blieb stehen, um einen Blick in das sonst unsichtbare Gartengrundstück hinein zu werfen. Ich hatte mich aus den Fußspitzen erhoben; aber ich erschrak fast: ein blasses und – so erschien es mir – wunderbar schönes Knabenantlitz mit dunkelgelocktem Haupthaar stand dicht vor dem meinen und sah von der anderen Seite mir starr und schweigend entgegen; ich gewahrte noch, daß die großen, gleichfalls dunkeln
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: John Riew', Ein Fest auf Haderslevhuus. Zwei Novellen. Berlin, 1885, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_riew_1885/10>, abgerufen am 27.07.2024. |