Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wieder gesprochen und Partei genommen: Mit Der ist nicht zu leben, riefen Einige, man kann's ihm nicht verdenken! Der bisher schweigsame Hausarzt, der sich erst seit einigen Jahren in unserem Städtchen niedergelassen, räusperte sich und nahm eine Prise. Man muß sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat, sagte er, und damit basta! Wenn's aber nichts taugt? wurde dagegen gesprochen. Und wenn es krumm und knorrig wäre, erwiderte er. Doctor, rief die jugendliche Hausfrau, ich merke schon, dahinter steckt wieder eine Geschichte, aber die Contes moraux sind aus der Mode gekommen. Nun, versetzte er, Sie wissen, wir Aerzte liegen oft im Streite mit dieser Göttin. Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wieder gesprochen und Partei genommen: Mit Der ist nicht zu leben, riefen Einige, man kann's ihm nicht verdenken! Der bisher schweigsame Hausarzt, der sich erst seit einigen Jahren in unserem Städtchen niedergelassen, räusperte sich und nahm eine Prise. Man muß sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat, sagte er, und damit basta! Wenn's aber nichts taugt? wurde dagegen gesprochen. Und wenn es krumm und knorrig wäre, erwiderte er. Doctor, rief die jugendliche Hausfrau, ich merke schon, dahinter steckt wieder eine Geschichte, aber die Contes moraux sind aus der Mode gekommen. Nun, versetzte er, Sie wissen, wir Aerzte liegen oft im Streite mit dieser Göttin. <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <pb facs="#f0010"/> </div> </front> <body> <div n="1"> <p>Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wieder gesprochen und Partei genommen: Mit Der ist nicht zu leben, riefen Einige, man kann's ihm nicht verdenken!</p><lb/> <p>Der bisher schweigsame Hausarzt, der sich erst seit einigen Jahren in unserem Städtchen niedergelassen, räusperte sich und nahm eine Prise. Man muß sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat, sagte er, und damit basta!</p><lb/> <p>Wenn's aber nichts taugt? wurde dagegen gesprochen.</p><lb/> <p>Und wenn es krumm und knorrig wäre, erwiderte er.</p><lb/> <p>Doctor, rief die jugendliche Hausfrau, ich merke schon, dahinter steckt wieder eine Geschichte, aber die Contes moraux sind aus der Mode gekommen.</p><lb/> <p>Nun, versetzte er, Sie wissen, wir Aerzte liegen oft im Streite mit dieser Göttin.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0010]
Wir saßen am Kamin, Männer und Frauen, eine behagliche Plaudergesellschaft. Der Mensch gab wie immer den besten Unterhaltungsstoff, und endlich waren wir bei einem abwesenden Bekannten angelangt, der aus Mißfallen an seiner übrigens frei gewählten Gattin sein Familienleben fast eigensinnig zu zerstören schien. Es wurde hin und wieder gesprochen und Partei genommen: Mit Der ist nicht zu leben, riefen Einige, man kann's ihm nicht verdenken!
Der bisher schweigsame Hausarzt, der sich erst seit einigen Jahren in unserem Städtchen niedergelassen, räusperte sich und nahm eine Prise. Man muß sein Leben aus dem Holze schnitzen, das man hat, sagte er, und damit basta!
Wenn's aber nichts taugt? wurde dagegen gesprochen.
Und wenn es krumm und knorrig wäre, erwiderte er.
Doctor, rief die jugendliche Hausfrau, ich merke schon, dahinter steckt wieder eine Geschichte, aber die Contes moraux sind aus der Mode gekommen.
Nun, versetzte er, Sie wissen, wir Aerzte liegen oft im Streite mit dieser Göttin.
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Zitationshilfe: | Storm, Theodor: Eine Malerarbeit. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 9. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 257–304. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_malerarbeit_1910/10>, abgerufen am 25.07.2024. |