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Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

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kleinen Gäste aus dem hellen Hause auf die dunkle
Gasse hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein
altes Weihnachtslied gesungen; es waren klare Mäd¬
chenstimmen darunter. Reinhardt hörte sie nicht, er
ging rasch an Allem vorüber, aus einer Straße in
die andere. Als er an seine Wohnung gekommen,
war es fast völlig dunkel geworden: er stolperte die
Treppe hinauf und trat in seine Stube. Ein süßer
Duft schlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das
roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsstube. Mit
zitternder Hand zündete er sein Licht an; da lag ein
mächtiges Packet auf dem Tisch, und als er es öffnete,
fielen die wohlbekannten braunen Festkuchen heraus;
auf einigen waren die Anfangsbuchstaben seines Na¬
mens in Zucker ausgestreut; das konnte Niemand
anders als Elisabeth gethan haben. Dann kam ein
Päckchen mit feiner gestickter Wäsche zum Vorschein,
Tücher und Manschetten, zuletzt Briefe von der Mut¬
ter und von Elisabeth. Reinhardt öffnete zuerst den
letzteren; Elisabeth schrieb:

Die schönen Zuckerbuchstaben können dir wohl
erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬
selbe Person hat die Manschetten für dich gestickt.

kleinen Gäſte aus dem hellen Hauſe auf die dunkle
Gaſſe hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein
altes Weihnachtslied geſungen; es waren klare Mäd¬
chenſtimmen darunter. Reinhardt hörte ſie nicht, er
ging raſch an Allem vorüber, aus einer Straße in
die andere. Als er an ſeine Wohnung gekommen,
war es faſt völlig dunkel geworden: er ſtolperte die
Treppe hinauf und trat in ſeine Stube. Ein ſüßer
Duft ſchlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das
roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsſtube. Mit
zitternder Hand zündete er ſein Licht an; da lag ein
mächtiges Packet auf dem Tiſch, und als er es öffnete,
fielen die wohlbekannten braunen Feſtkuchen heraus;
auf einigen waren die Anfangsbuchſtaben ſeines Na¬
mens in Zucker ausgeſtreut; das konnte Niemand
anders als Eliſabeth gethan haben. Dann kam ein
Päckchen mit feiner geſtickter Wäſche zum Vorſchein,
Tücher und Manſchetten, zuletzt Briefe von der Mut¬
ter und von Eliſabeth. Reinhardt öffnete zuerſt den
letzteren; Eliſabeth ſchrieb:

Die ſchönen Zuckerbuchſtaben können dir wohl
erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬
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[25/0031] kleinen Gäſte aus dem hellen Hauſe auf die dunkle Gaſſe hinaus; anderswo wurde auf dem Hausflur ein altes Weihnachtslied geſungen; es waren klare Mäd¬ chenſtimmen darunter. Reinhardt hörte ſie nicht, er ging raſch an Allem vorüber, aus einer Straße in die andere. Als er an ſeine Wohnung gekommen, war es faſt völlig dunkel geworden: er ſtolperte die Treppe hinauf und trat in ſeine Stube. Ein ſüßer Duft ſchlug ihm entgegen; das heimelte ihn an, das roch wie zu Haus der Mutter Weihnachtsſtube. Mit zitternder Hand zündete er ſein Licht an; da lag ein mächtiges Packet auf dem Tiſch, und als er es öffnete, fielen die wohlbekannten braunen Feſtkuchen heraus; auf einigen waren die Anfangsbuchſtaben ſeines Na¬ mens in Zucker ausgeſtreut; das konnte Niemand anders als Eliſabeth gethan haben. Dann kam ein Päckchen mit feiner geſtickter Wäſche zum Vorſchein, Tücher und Manſchetten, zuletzt Briefe von der Mut¬ ter und von Eliſabeth. Reinhardt öffnete zuerſt den letzteren; Eliſabeth ſchrieb: Die ſchönen Zuckerbuchſtaben können dir wohl erzählen, wer bei den Kuchen mitgeholfen hat; die¬ ſelbe Perſon hat die Manſchetten für dich geſtickt.

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/31>, abgerufen am 25.04.2024.