Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ner moralischen Reden, während er eifrig an einem
Braten herumtranchirte.

Da sind die Nachzügler! riefen die Jungen, als sie
Reinhardt und Elisabeth durch die Bäume kommen
sahen.

Hierher! rief der alte Herr, Tücher ausgeleert, Hüte
umgekehrt! Nun zeigt her, was ihr gefunden habt.

Hunger und Durst! sagte Reinhardt.

Wenn das Alles ist, erwiderte der Alte, und hob
ihnen die volle Schüssel entgegen, so müßt ihr es auch
behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden keine
Müßiggänger gefüttert.

Endlich ließ er sich aber doch erbitten, und nun
wurde Tafel gehalten; dazu schlug die Drossel aus
den Wachholderbüschen.

So ging der Tag hin. -- Reinhardt hatte aber doch
etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, so war
es doch auch im Walde gewachsen. Als er nach Hause
gekommen war, schrieb er in seinen alten Pergament¬
band:

Hier an der Bergeshalde
Verstummet ganz der Wind;
Die Zweige hängen nieder,
Darunter sitzt das Kind.

ner moraliſchen Reden, während er eifrig an einem
Braten herumtranchirte.

Da ſind die Nachzügler! riefen die Jungen, als ſie
Reinhardt und Eliſabeth durch die Bäume kommen
ſahen.

Hierher! rief der alte Herr, Tücher ausgeleert, Hüte
umgekehrt! Nun zeigt her, was ihr gefunden habt.

Hunger und Durſt! ſagte Reinhardt.

Wenn das Alles iſt, erwiderte der Alte, und hob
ihnen die volle Schüſſel entgegen, ſo müßt ihr es auch
behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden keine
Müßiggänger gefüttert.

Endlich ließ er ſich aber doch erbitten, und nun
wurde Tafel gehalten; dazu ſchlug die Droſſel aus
den Wachholderbüſchen.

So ging der Tag hin. — Reinhardt hatte aber doch
etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, ſo war
es doch auch im Walde gewachſen. Als er nach Hauſe
gekommen war, ſchrieb er in ſeinen alten Pergament¬
band:

Hier an der Bergeshalde
Verſtummet ganz der Wind;
Die Zweige hängen nieder,
Darunter ſitzt das Kind.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0026" n="20"/>
ner morali&#x017F;chen Reden, während er eifrig an einem<lb/>
Braten herumtranchirte.</p><lb/>
        <p>Da &#x017F;ind die Nachzügler! riefen die Jungen, als &#x017F;ie<lb/>
Reinhardt und Eli&#x017F;abeth durch die Bäume kommen<lb/>
&#x017F;ahen.</p><lb/>
        <p>Hierher! rief der alte Herr, Tücher ausgeleert, Hüte<lb/>
umgekehrt! Nun zeigt her, was ihr gefunden habt.</p><lb/>
        <p>Hunger und Dur&#x017F;t! &#x017F;agte Reinhardt.</p><lb/>
        <p>Wenn das Alles i&#x017F;t, erwiderte der Alte, und hob<lb/>
ihnen die volle Schü&#x017F;&#x017F;el entgegen, &#x017F;o müßt ihr es auch<lb/>
behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden keine<lb/>
Müßiggänger gefüttert.</p><lb/>
        <p>Endlich ließ er &#x017F;ich aber doch erbitten, und nun<lb/>
wurde Tafel gehalten; dazu &#x017F;chlug die Dro&#x017F;&#x017F;el aus<lb/>
den Wachholderbü&#x017F;chen.</p><lb/>
        <p>So ging der Tag hin. &#x2014; Reinhardt hatte aber doch<lb/>
etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, &#x017F;o war<lb/>
es doch auch im Walde gewach&#x017F;en. Als er nach Hau&#x017F;e<lb/>
gekommen war, &#x017F;chrieb er in &#x017F;einen alten Pergament¬<lb/>
band:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <lg n="1">
            <l>Hier an der Bergeshalde</l><lb/>
            <l>Ver&#x017F;tummet ganz der Wind;</l><lb/>
            <l>Die Zweige hängen nieder,</l><lb/>
            <l>Darunter &#x017F;itzt das Kind.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0026] ner moraliſchen Reden, während er eifrig an einem Braten herumtranchirte. Da ſind die Nachzügler! riefen die Jungen, als ſie Reinhardt und Eliſabeth durch die Bäume kommen ſahen. Hierher! rief der alte Herr, Tücher ausgeleert, Hüte umgekehrt! Nun zeigt her, was ihr gefunden habt. Hunger und Durſt! ſagte Reinhardt. Wenn das Alles iſt, erwiderte der Alte, und hob ihnen die volle Schüſſel entgegen, ſo müßt ihr es auch behalten. Ihr kennt die Abrede; hier werden keine Müßiggänger gefüttert. Endlich ließ er ſich aber doch erbitten, und nun wurde Tafel gehalten; dazu ſchlug die Droſſel aus den Wachholderbüſchen. So ging der Tag hin. — Reinhardt hatte aber doch etwas gefunden; waren es keine Erdbeeren, ſo war es doch auch im Walde gewachſen. Als er nach Hauſe gekommen war, ſchrieb er in ſeinen alten Pergament¬ band: Hier an der Bergeshalde Verſtummet ganz der Wind; Die Zweige hängen nieder, Darunter ſitzt das Kind.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Theodor Storms Novelle "Immensee" erschien zuerst… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/26
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Immensee. Berlin, 1852, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_immensee_1852/26>, abgerufen am 18.04.2024.