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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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den von Schnee gebeugten Bäumen lagen, wo die armen Leute, um mit ihrem leeren Magen nicht gleichfalls zu erfrieren, in ihre kargen Betten krochen, die in ungeheizten Kammern standen; denn auch die Arbeit war mit eingefroren.

John hatte sein Kind auf dem Schoß; er sann wohl darüber nach, warum in solcher Zeit das Mitleid nicht den Armen Arbeit schaffe; er wußte nicht, daß es an ihm vorbeigegangen war. Die lange nicht gestutzten Haare hingen über seine eingefallenen Wangen; die Arme hielt er um sein Kind geschlungen. Der Mittag war vorüber, wie die zwei leeren irdenen Teller auswiesen, die mit Kartoffelschale bedeckt neben einem Salzfaß auf dem Tische standen. Ein kaltes graues Zwielicht war in der Kammer; denn das Tageslicht konnte durch die dick mit Eisblumen überzogenen Scheiben nur kaum hineindringen. "Schlaf ein wenig, Christine!" sagte John. "Schlaf ist gut; es giebt nichts Besseres; es wird auch wieder Sommer werden!"

"Ja", hauchte das Kind.

"Wart' nur!" und er nahm ein Wollentuch, das Hanna einst getragen hatte, und bedeckte sie

den von Schnee gebeugten Bäumen lagen, wo die armen Leute, um mit ihrem leeren Magen nicht gleichfalls zu erfrieren, in ihre kargen Betten krochen, die in ungeheizten Kammern standen; denn auch die Arbeit war mit eingefroren.

John hatte sein Kind auf dem Schoß; er sann wohl darüber nach, warum in solcher Zeit das Mitleid nicht den Armen Arbeit schaffe; er wußte nicht, daß es an ihm vorbeigegangen war. Die lange nicht gestutzten Haare hingen über seine eingefallenen Wangen; die Arme hielt er um sein Kind geschlungen. Der Mittag war vorüber, wie die zwei leeren irdenen Teller auswiesen, die mit Kartoffelschale bedeckt neben einem Salzfaß auf dem Tische standen. Ein kaltes graues Zwielicht war in der Kammer; denn das Tageslicht konnte durch die dick mit Eisblumen überzogenen Scheiben nur kaum hineindringen. „Schlaf ein wenig, Christine!“ sagte John. „Schlaf ist gut; es giebt nichts Besseres; es wird auch wieder Sommer werden!“

„Ja“, hauchte das Kind.

„Wart’ nur!“ und er nahm ein Wollentuch, das Hanna einst getragen hatte, und bedeckte sie

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[95/0095] den von Schnee gebeugten Bäumen lagen, wo die armen Leute, um mit ihrem leeren Magen nicht gleichfalls zu erfrieren, in ihre kargen Betten krochen, die in ungeheizten Kammern standen; denn auch die Arbeit war mit eingefroren. John hatte sein Kind auf dem Schoß; er sann wohl darüber nach, warum in solcher Zeit das Mitleid nicht den Armen Arbeit schaffe; er wußte nicht, daß es an ihm vorbeigegangen war. Die lange nicht gestutzten Haare hingen über seine eingefallenen Wangen; die Arme hielt er um sein Kind geschlungen. Der Mittag war vorüber, wie die zwei leeren irdenen Teller auswiesen, die mit Kartoffelschale bedeckt neben einem Salzfaß auf dem Tische standen. Ein kaltes graues Zwielicht war in der Kammer; denn das Tageslicht konnte durch die dick mit Eisblumen überzogenen Scheiben nur kaum hineindringen. „Schlaf ein wenig, Christine!“ sagte John. „Schlaf ist gut; es giebt nichts Besseres; es wird auch wieder Sommer werden!“ „Ja“, hauchte das Kind. „Wart’ nur!“ und er nahm ein Wollentuch, das Hanna einst getragen hatte, und bedeckte sie

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/95>, abgerufen am 24.11.2024.