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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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hatte, einen Tropfen rothen Blutes hängen. Er kniete nieder und fuhr suchend mit den Händen durch das volle Haar seines Weibes; plötzlich wurden ihm die Finger feucht, er zog sie hervor. "Blut!" schrie er und betrachtete mit Entsetzen seine Hand; dann fuhr er fort zu suchen, hastig, mit fliegendem Athem, und - nun hatte er es gefühlt, ein Stöhnen brach aus seinem Munde: da, da quoll es hervor, da war der Stift hineingedrungen; tief - er wußte nicht, wie tief. "Hanna!" flüsterte er, indem er sich zu ihrem Ohre beugte, und noch einmal stärker: "Hanna!"

Da kam es endlich. "John!" kam es von ihren Lippen; doch wie aus weiter Ferne.

"Hanna!" flüsterte er wieder, "bleib, o stirb nicht, Hanna! Ich hol' einen Doktor; gleich, gleich bin ich wieder da!"

"Es kommt doch keiner."

"Ja, Hanna, er soll kommen!"

Eine Hand griff tastend nach der seinen, wie um ihn zurückzuhalten. "Nein, John - kein Doktor - Du bist nicht schuld - aber - sie setzen Dich ins Gefängniß!"

hatte, einen Tropfen rothen Blutes hängen. Er kniete nieder und fuhr suchend mit den Händen durch das volle Haar seines Weibes; plötzlich wurden ihm die Finger feucht, er zog sie hervor. „Blut!“ schrie er und betrachtete mit Entsetzen seine Hand; dann fuhr er fort zu suchen, hastig, mit fliegendem Athem, und – nun hatte er es gefühlt, ein Stöhnen brach aus seinem Munde: da, da quoll es hervor, da war der Stift hineingedrungen; tief – er wußte nicht, wie tief. „Hanna!“ flüsterte er, indem er sich zu ihrem Ohre beugte, und noch einmal stärker: „Hanna!“

Da kam es endlich. „John!“ kam es von ihren Lippen; doch wie aus weiter Ferne.

„Hanna!“ flüsterte er wieder, „bleib, o stirb nicht, Hanna! Ich hol’ einen Doktor; gleich, gleich bin ich wieder da!“

„Es kommt doch keiner.“

„Ja, Hanna, er soll kommen!“

Eine Hand griff tastend nach der seinen, wie um ihn zurückzuhalten. „Nein, John – kein Doktor – Du bist nicht schuld – aber – sie setzen Dich ins Gefängniß!“

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[75/0075] hatte, einen Tropfen rothen Blutes hängen. Er kniete nieder und fuhr suchend mit den Händen durch das volle Haar seines Weibes; plötzlich wurden ihm die Finger feucht, er zog sie hervor. „Blut!“ schrie er und betrachtete mit Entsetzen seine Hand; dann fuhr er fort zu suchen, hastig, mit fliegendem Athem, und – nun hatte er es gefühlt, ein Stöhnen brach aus seinem Munde: da, da quoll es hervor, da war der Stift hineingedrungen; tief – er wußte nicht, wie tief. „Hanna!“ flüsterte er, indem er sich zu ihrem Ohre beugte, und noch einmal stärker: „Hanna!“ Da kam es endlich. „John!“ kam es von ihren Lippen; doch wie aus weiter Ferne. „Hanna!“ flüsterte er wieder, „bleib, o stirb nicht, Hanna! Ich hol’ einen Doktor; gleich, gleich bin ich wieder da!“ „Es kommt doch keiner.“ „Ja, Hanna, er soll kommen!“ Eine Hand griff tastend nach der seinen, wie um ihn zurückzuhalten. „Nein, John – kein Doktor – Du bist nicht schuld – aber – sie setzen Dich ins Gefängniß!“

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/75>, abgerufen am 10.05.2024.