Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

Bild:
<< vorherige Seite

"Was thatest Du denn, als Du mit Deiner Mutter noch allein warst und nicht einmal ein Kind zum Anziehn da war?"

"Ich ging betteln in der Stadt!" antwortete sie, und ein höhnischer Trotz klang aus den Worten, "das ging noch besser, als es jetzt geht! Du wußtest ja, daß Du eine Betteldirne freitest!"

"Und schämtest Du Dich nicht?" fuhr es aus ihm heraus.

"Nein", sagte sie hart und sah ihm mit starren Augen ins Gesicht.

"Warum lerntest Du nicht mit feiner Wäsche umgehn? Deine Mutter konnte es doch; sie hatte bei Herrschaften gedient. Das hätte uns jetzt Geld gebracht und wär' besser gewesen, als das faule Umherlungern."

Sie schwieg; es war nie daran gedacht worden. Aber in ihrem hübschen Kopfe fing es an zu kochen, als sie nichts erwidern konnte. Dazu, die Augen ihres Mannes lagen auf ihr, als wolle er sie ganz ins Nichts hinunterdrücken. Da kam ihr ein Gedanke; er versetzte ihr den Athem, aber sie konnte es nicht verhalten. "Es giebt ja noch andern

„Was thatest Du denn, als Du mit Deiner Mutter noch allein warst und nicht einmal ein Kind zum Anziehn da war?“

„Ich ging betteln in der Stadt!“ antwortete sie, und ein höhnischer Trotz klang aus den Worten, „das ging noch besser, als es jetzt geht! Du wußtest ja, daß Du eine Betteldirne freitest!“

„Und schämtest Du Dich nicht?“ fuhr es aus ihm heraus.

„Nein“, sagte sie hart und sah ihm mit starren Augen ins Gesicht.

„Warum lerntest Du nicht mit feiner Wäsche umgehn? Deine Mutter konnte es doch; sie hatte bei Herrschaften gedient. Das hätte uns jetzt Geld gebracht und wär’ besser gewesen, als das faule Umherlungern.“

Sie schwieg; es war nie daran gedacht worden. Aber in ihrem hübschen Kopfe fing es an zu kochen, als sie nichts erwidern konnte. Dazu, die Augen ihres Mannes lagen auf ihr, als wolle er sie ganz ins Nichts hinunterdrücken. Da kam ihr ein Gedanke; er versetzte ihr den Athem, aber sie konnte es nicht verhalten. „Es giebt ja noch andern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0073" n="73"/>
        <p>&#x201E;Was thatest Du denn, als Du mit Deiner Mutter noch allein warst und nicht einmal ein Kind zum Anziehn da war?&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ich ging betteln in der Stadt!&#x201C; antwortete sie, und ein höhnischer Trotz klang aus den Worten, &#x201E;das ging noch besser, als es jetzt geht! Du wußtest ja, daß Du eine Betteldirne freitest!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Und schämtest Du Dich nicht?&#x201C; fuhr es aus ihm heraus.</p>
        <p>&#x201E;Nein&#x201C;, sagte sie hart und sah ihm mit starren Augen ins Gesicht.</p>
        <p>&#x201E;Warum lerntest Du nicht mit feiner Wäsche umgehn? Deine Mutter konnte es doch; sie hatte bei Herrschaften gedient. Das hätte uns jetzt Geld gebracht und wär&#x2019; besser gewesen, als das faule Umherlungern.&#x201C;</p>
        <p>Sie schwieg; es war nie daran gedacht worden. Aber in ihrem hübschen Kopfe fing es an zu kochen, als sie nichts erwidern konnte. Dazu, die Augen ihres Mannes lagen auf ihr, als wolle er sie ganz ins Nichts hinunterdrücken. Da kam ihr ein Gedanke; er versetzte ihr den Athem, aber sie konnte es nicht verhalten. &#x201E;Es giebt ja noch andern
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[73/0073] „Was thatest Du denn, als Du mit Deiner Mutter noch allein warst und nicht einmal ein Kind zum Anziehn da war?“ „Ich ging betteln in der Stadt!“ antwortete sie, und ein höhnischer Trotz klang aus den Worten, „das ging noch besser, als es jetzt geht! Du wußtest ja, daß Du eine Betteldirne freitest!“ „Und schämtest Du Dich nicht?“ fuhr es aus ihm heraus. „Nein“, sagte sie hart und sah ihm mit starren Augen ins Gesicht. „Warum lerntest Du nicht mit feiner Wäsche umgehn? Deine Mutter konnte es doch; sie hatte bei Herrschaften gedient. Das hätte uns jetzt Geld gebracht und wär’ besser gewesen, als das faule Umherlungern.“ Sie schwieg; es war nie daran gedacht worden. Aber in ihrem hübschen Kopfe fing es an zu kochen, als sie nichts erwidern konnte. Dazu, die Augen ihres Mannes lagen auf ihr, als wolle er sie ganz ins Nichts hinunterdrücken. Da kam ihr ein Gedanke; er versetzte ihr den Athem, aber sie konnte es nicht verhalten. „Es giebt ja noch andern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-15T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-15T13:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-15T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/73
Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/73>, abgerufen am 10.05.2024.