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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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"Es war ja nicht so ernst gemeint, Franz Adolph!" sagte sie leise.

Als es auf der Hausuhr vom Flur aus Zehn schlug, brachen wir auf; der Oberförster zündete eine Kerze an und begleitete mich wie am Nachmittage die Treppe hinauf nach meinem Gastzimmer.

"Nun", sagte er, nachdem er das Licht auf den Tisch gesetzt hatte, "nicht wahr, wir sind jetzt einig? Sie verstehen mich?"

Ich nickte: "Gewiß; ich weiß nun freilich, wer John Hansen ist."

"Ja, ja", rief er, "aus dem Staube des Weges haben meine lieben Eltern dies Kind für mich aufgesammelt; ich dank' es ihnen jeden Morgen, wenn ich beim Ausstehen dies friedliche Antlitz noch neben mir im Schlummer sehe, oder wenn sie mir vom Kissen ihren Morgengruß zunickt. Doch - gute Nacht! Auch die Vergangenheit soll schlafen!"

Wir reichten uns die Hände, und ich hörte ihn den Corridor entlang und die Treppe hinabgehen. Aber bei mir wollte die Vergangenheit nicht schlafen; ich trat an das offene Fenster und sah

„Es war ja nicht so ernst gemeint, Franz Adolph!“ sagte sie leise.

Als es auf der Hausuhr vom Flur aus Zehn schlug, brachen wir auf; der Oberförster zündete eine Kerze an und begleitete mich wie am Nachmittage die Treppe hinauf nach meinem Gastzimmer.

„Nun“, sagte er, nachdem er das Licht auf den Tisch gesetzt hatte, „nicht wahr, wir sind jetzt einig? Sie verstehen mich?“

Ich nickte: „Gewiß; ich weiß nun freilich, wer John Hansen ist.“

„Ja, ja“, rief er, „aus dem Staube des Weges haben meine lieben Eltern dies Kind für mich aufgesammelt; ich dank’ es ihnen jeden Morgen, wenn ich beim Ausstehen dies friedliche Antlitz noch neben mir im Schlummer sehe, oder wenn sie mir vom Kissen ihren Morgengruß zunickt. Doch – gute Nacht! Auch die Vergangenheit soll schlafen!“

Wir reichten uns die Hände, und ich hörte ihn den Corridor entlang und die Treppe hinabgehen. Aber bei mir wollte die Vergangenheit nicht schlafen; ich trat an das offene Fenster und sah

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[33/0033] „Es war ja nicht so ernst gemeint, Franz Adolph!“ sagte sie leise. Als es auf der Hausuhr vom Flur aus Zehn schlug, brachen wir auf; der Oberförster zündete eine Kerze an und begleitete mich wie am Nachmittage die Treppe hinauf nach meinem Gastzimmer. „Nun“, sagte er, nachdem er das Licht auf den Tisch gesetzt hatte, „nicht wahr, wir sind jetzt einig? Sie verstehen mich?“ Ich nickte: „Gewiß; ich weiß nun freilich, wer John Hansen ist.“ „Ja, ja“, rief er, „aus dem Staube des Weges haben meine lieben Eltern dies Kind für mich aufgesammelt; ich dank’ es ihnen jeden Morgen, wenn ich beim Ausstehen dies friedliche Antlitz noch neben mir im Schlummer sehe, oder wenn sie mir vom Kissen ihren Morgengruß zunickt. Doch – gute Nacht! Auch die Vergangenheit soll schlafen!“ Wir reichten uns die Hände, und ich hörte ihn den Corridor entlang und die Treppe hinabgehen. Aber bei mir wollte die Vergangenheit nicht schlafen; ich trat an das offene Fenster und sah

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/33>, abgerufen am 27.04.2024.