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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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"Aus der Zeit aber, wo ich mit meiner Mutter lebte", sagte sie dann noch, "vermag ich keine feste Erinnerung an meinen Vater zu gewinnen; ich muß mich mit dem wüsten Schreckbild begnügen, das mein Verstand vergebens zu fassen sucht."

Sie kniete plötzlich nieder, um eine Hand voll jener kleinen röthlichen Immortellen zu pflücken, die sich gern auf magerem Sandboden ansiedeln; da wir dann weiter gingen, begannen ihre Finger einen Kranz daraus zu flechten.

Ich war noch mit ihren letzten Worten beschäftigt; mir ging im Kopf ein wüster junger Kerl herum; er war bekannt genug gewesen; aber sein Name war ein anderer. "Auch Kinder", sagte ich endlich, während meine Augen ihren geschickten Händen folgten, "mag wohl einmal der Gedanke an den unsichtbar umhergeistenden Tod wie ein Schauder überfallen, daß sie voll Angst die Arme um ihr Liebstes klammern; dazu - Sie kannten gewiß schon von den Vätern, mit denen die Communen die Kinder der Armen zu beschenken pflegen - was Wunder, daß Ihre Phantasie das

„Aus der Zeit aber, wo ich mit meiner Mutter lebte“, sagte sie dann noch, „vermag ich keine feste Erinnerung an meinen Vater zu gewinnen; ich muß mich mit dem wüsten Schreckbild begnügen, das mein Verstand vergebens zu fassen sucht.“

Sie kniete plötzlich nieder, um eine Hand voll jener kleinen röthlichen Immortellen zu pflücken, die sich gern auf magerem Sandboden ansiedeln; da wir dann weiter gingen, begannen ihre Finger einen Kranz daraus zu flechten.

Ich war noch mit ihren letzten Worten beschäftigt; mir ging im Kopf ein wüster junger Kerl herum; er war bekannt genug gewesen; aber sein Name war ein anderer. „Auch Kinder“, sagte ich endlich, während meine Augen ihren geschickten Händen folgten, „mag wohl einmal der Gedanke an den unsichtbar umhergeistenden Tod wie ein Schauder überfallen, daß sie voll Angst die Arme um ihr Liebstes klammern; dazu – Sie kannten gewiß schon von den Vätern, mit denen die Communen die Kinder der Armen zu beschenken pflegen – was Wunder, daß Ihre Phantasie das

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[26/0026] „Aus der Zeit aber, wo ich mit meiner Mutter lebte“, sagte sie dann noch, „vermag ich keine feste Erinnerung an meinen Vater zu gewinnen; ich muß mich mit dem wüsten Schreckbild begnügen, das mein Verstand vergebens zu fassen sucht.“ Sie kniete plötzlich nieder, um eine Hand voll jener kleinen röthlichen Immortellen zu pflücken, die sich gern auf magerem Sandboden ansiedeln; da wir dann weiter gingen, begannen ihre Finger einen Kranz daraus zu flechten. Ich war noch mit ihren letzten Worten beschäftigt; mir ging im Kopf ein wüster junger Kerl herum; er war bekannt genug gewesen; aber sein Name war ein anderer. „Auch Kinder“, sagte ich endlich, während meine Augen ihren geschickten Händen folgten, „mag wohl einmal der Gedanke an den unsichtbar umhergeistenden Tod wie ein Schauder überfallen, daß sie voll Angst die Arme um ihr Liebstes klammern; dazu – Sie kannten gewiß schon von den Vätern, mit denen die Communen die Kinder der Armen zu beschenken pflegen – was Wunder, daß Ihre Phantasie das

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/26>, abgerufen am 30.11.2024.