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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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Munde: "Der Bub' allein? Ich dächte, der Vater wär' auch wohl dabei!"

"Komm, Alte", rief der Oberförster; "ich merke doch, Du bist mir zu gescheit; wir wollen Frieden machen!"

Wir plauderten weiter; und wenn das liebe Frauenantlitz sich zu mir wandte, konnte ich es mir nicht versagen, nach bekannten Zügen darin zu suchen; allein obgleich ein paar Mal, wie im Fluge, als wolle es mir helfen, das frühere Kinderangesicht mich daraus anzublicken schien, ich mußte mir dennoch sagen: "Die kennst du nicht; du hast sie nie gesehen." Ich lauschte dann auch ihrer Sprache, aber weder die uns heimische Verwechslung verwandter Vokale, noch die von solchen Konsonanten kam zum Vorschein; nur ein paar Mal meinte ich das scharfe S vor einem andern Konsonanten zu vernehmen, dessen ich selbst freilich mich längst entwöhnt glaubte.

Am Vormittage ging ich mit dem Oberförster in den umliegenden Wald; er wies mir seine Hauptschläge, die mit uralten und mit kaum fingerhohen Eichen, und entwickelte mir eindringlich sein

Munde: „Der Bub’ allein? Ich dächte, der Vater wär’ auch wohl dabei!“

„Komm, Alte“, rief der Oberförster; „ich merke doch, Du bist mir zu gescheit; wir wollen Frieden machen!“

Wir plauderten weiter; und wenn das liebe Frauenantlitz sich zu mir wandte, konnte ich es mir nicht versagen, nach bekannten Zügen darin zu suchen; allein obgleich ein paar Mal, wie im Fluge, als wolle es mir helfen, das frühere Kinderangesicht mich daraus anzublicken schien, ich mußte mir dennoch sagen: „Die kennst du nicht; du hast sie nie gesehen.“ Ich lauschte dann auch ihrer Sprache, aber weder die uns heimische Verwechslung verwandter Vokale, noch die von solchen Konsonanten kam zum Vorschein; nur ein paar Mal meinte ich das scharfe S vor einem andern Konsonanten zu vernehmen, dessen ich selbst freilich mich längst entwöhnt glaubte.

Am Vormittage ging ich mit dem Oberförster in den umliegenden Wald; er wies mir seine Hauptschläge, die mit uralten und mit kaum fingerhohen Eichen, und entwickelte mir eindringlich sein

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[18/0018] Munde: „Der Bub’ allein? Ich dächte, der Vater wär’ auch wohl dabei!“ „Komm, Alte“, rief der Oberförster; „ich merke doch, Du bist mir zu gescheit; wir wollen Frieden machen!“ Wir plauderten weiter; und wenn das liebe Frauenantlitz sich zu mir wandte, konnte ich es mir nicht versagen, nach bekannten Zügen darin zu suchen; allein obgleich ein paar Mal, wie im Fluge, als wolle es mir helfen, das frühere Kinderangesicht mich daraus anzublicken schien, ich mußte mir dennoch sagen: „Die kennst du nicht; du hast sie nie gesehen.“ Ich lauschte dann auch ihrer Sprache, aber weder die uns heimische Verwechslung verwandter Vokale, noch die von solchen Konsonanten kam zum Vorschein; nur ein paar Mal meinte ich das scharfe S vor einem andern Konsonanten zu vernehmen, dessen ich selbst freilich mich längst entwöhnt glaubte. Am Vormittage ging ich mit dem Oberförster in den umliegenden Wald; er wies mir seine Hauptschläge, die mit uralten und mit kaum fingerhohen Eichen, und entwickelte mir eindringlich sein

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/18>, abgerufen am 27.04.2024.