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Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887.

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Er sah ein paar Augenblicke vor sich hin. "Meinen Sie nicht", frug er dann, ohne mich anzublicken, "wir könnten unsere neue Bekanntschaft noch ein wenig älter werden lassen?"

Seine Worte trafen meine eigene Empfindung; denn auf meiner nun zweiwöchentlichen Reise hatte ich heute zum ersten Mal ein herzlich Wort mit einem Begegnenden gewechselt; aber ich antwortete nicht gleich; ich sann nach, wohin er zielen möge.

Und schon fuhr er fort: "Lassen Sie mich es offen gestehen: zu dem Eindruck Ihrer Persönlichkeit kommt noch ein Anderes dazu: es ist Ihre Stimme, oder richtiger die Art Ihres Sprechens, was diesen Wunsch in mir erregt; mir ist, als gehe es mich ganz nahe an, und doch ..." Statt des verständigenden Wortes aber ergriff er plötzlich meine beiden Hände. "Thun Sie es mir zu lieb'", sagte er dabei, "meine Försterei liegt nur so reichlich eine Stunde von hier, zwischen Eichen und Tannen - darf ich Sie bei meiner lieben Alten als unsern Gast auf ein paar Tage anmelden?"

Der alte Herr sah mich so treuherzig an, daß ich gern und schon auf morgen zusagte. Er schüttelte

Er sah ein paar Augenblicke vor sich hin. „Meinen Sie nicht“, frug er dann, ohne mich anzublicken, „wir könnten unsere neue Bekanntschaft noch ein wenig älter werden lassen?“

Seine Worte trafen meine eigene Empfindung; denn auf meiner nun zweiwöchentlichen Reise hatte ich heute zum ersten Mal ein herzlich Wort mit einem Begegnenden gewechselt; aber ich antwortete nicht gleich; ich sann nach, wohin er zielen möge.

Und schon fuhr er fort: „Lassen Sie mich es offen gestehen: zu dem Eindruck Ihrer Persönlichkeit kommt noch ein Anderes dazu: es ist Ihre Stimme, oder richtiger die Art Ihres Sprechens, was diesen Wunsch in mir erregt; mir ist, als gehe es mich ganz nahe an, und doch ...“ Statt des verständigenden Wortes aber ergriff er plötzlich meine beiden Hände. „Thun Sie es mir zu lieb’“, sagte er dabei, „meine Försterei liegt nur so reichlich eine Stunde von hier, zwischen Eichen und Tannen – darf ich Sie bei meiner lieben Alten als unsern Gast auf ein paar Tage anmelden?“

Der alte Herr sah mich so treuherzig an, daß ich gern und schon auf morgen zusagte. Er schüttelte

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[12/0012] Er sah ein paar Augenblicke vor sich hin. „Meinen Sie nicht“, frug er dann, ohne mich anzublicken, „wir könnten unsere neue Bekanntschaft noch ein wenig älter werden lassen?“ Seine Worte trafen meine eigene Empfindung; denn auf meiner nun zweiwöchentlichen Reise hatte ich heute zum ersten Mal ein herzlich Wort mit einem Begegnenden gewechselt; aber ich antwortete nicht gleich; ich sann nach, wohin er zielen möge. Und schon fuhr er fort: „Lassen Sie mich es offen gestehen: zu dem Eindruck Ihrer Persönlichkeit kommt noch ein Anderes dazu: es ist Ihre Stimme, oder richtiger die Art Ihres Sprechens, was diesen Wunsch in mir erregt; mir ist, als gehe es mich ganz nahe an, und doch ...“ Statt des verständigenden Wortes aber ergriff er plötzlich meine beiden Hände. „Thun Sie es mir zu lieb’“, sagte er dabei, „meine Försterei liegt nur so reichlich eine Stunde von hier, zwischen Eichen und Tannen – darf ich Sie bei meiner lieben Alten als unsern Gast auf ein paar Tage anmelden?“ Der alte Herr sah mich so treuherzig an, daß ich gern und schon auf morgen zusagte. Er schüttelte

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Ein Doppelgänger. Novelle. Berlin, 1887, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_doppelgaenger_1887/12>, abgerufen am 27.04.2024.