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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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Die Meisten mögen wol nach Westen blicken,
um sich an dem lichten Grün der Marschen und
darüberhin an der Silberfluth des Meeres zu
ergötzen, auf welcher das Schattenspiel der lang¬
gestreckten Insel schwimmt; meine Augen wenden
unwillkürlich sich nach Norden, wo, kaum eine
Meile fern, der graue, spitze Kirchthurm aus
dem höher belegenen, aber öden Küstenlande auf¬
steigt; denn dort liegt eine von den Stätten
meiner Jugend.

Der Pastorssohn aus jenem Dorfe besuchte
mit mir die "Gelehrtenschule" meiner Vaterstadt,
und unzählige Male sind wir am Sonnabend¬
nachmittage zusammen dahinausgewandert, um
dann am Sonntagabend oder Montags früh zu
unserem Nepos, oder später zu unserem Cicero
nach der Stadt zurückzukehren. Es war damals
aus der Mitte des Weges noch ein gut Stück
ungebrochener Haide übrig, wie sie sich einst nach
der einen Seite bis fast zur Stadt, nach der
anderen ebenso gegen das Dorf erstreckt hatte.
Hier summten auf den Blüthen des duftenden

Die Meiſten mögen wol nach Weſten blicken,
um ſich an dem lichten Grün der Marſchen und
darüberhin an der Silberfluth des Meeres zu
ergötzen, auf welcher das Schattenſpiel der lang¬
geſtreckten Inſel ſchwimmt; meine Augen wenden
unwillkürlich ſich nach Norden, wo, kaum eine
Meile fern, der graue, ſpitze Kirchthurm aus
dem höher belegenen, aber öden Küſtenlande auf¬
ſteigt; denn dort liegt eine von den Stätten
meiner Jugend.

Der Paſtorsſohn aus jenem Dorfe beſuchte
mit mir die „Gelehrtenſchule“ meiner Vaterſtadt,
und unzählige Male ſind wir am Sonnabend¬
nachmittage zuſammen dahinausgewandert, um
dann am Sonntagabend oder Montags früh zu
unſerem Nepos, oder ſpäter zu unſerem Cicero
nach der Stadt zurückzukehren. Es war damals
aus der Mitte des Weges noch ein gut Stück
ungebrochener Haide übrig, wie ſie ſich einſt nach
der einen Seite bis faſt zur Stadt, nach der
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[2/0016] Die Meiſten mögen wol nach Weſten blicken, um ſich an dem lichten Grün der Marſchen und darüberhin an der Silberfluth des Meeres zu ergötzen, auf welcher das Schattenſpiel der lang¬ geſtreckten Inſel ſchwimmt; meine Augen wenden unwillkürlich ſich nach Norden, wo, kaum eine Meile fern, der graue, ſpitze Kirchthurm aus dem höher belegenen, aber öden Küſtenlande auf¬ ſteigt; denn dort liegt eine von den Stätten meiner Jugend. Der Paſtorsſohn aus jenem Dorfe beſuchte mit mir die „Gelehrtenſchule“ meiner Vaterſtadt, und unzählige Male ſind wir am Sonnabend¬ nachmittage zuſammen dahinausgewandert, um dann am Sonntagabend oder Montags früh zu unſerem Nepos, oder ſpäter zu unſerem Cicero nach der Stadt zurückzukehren. Es war damals aus der Mitte des Weges noch ein gut Stück ungebrochener Haide übrig, wie ſie ſich einſt nach der einen Seite bis faſt zur Stadt, nach der anderen ebenſo gegen das Dorf erſtreckt hatte. Hier ſummten auf den Blüthen des duftenden

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/16>, abgerufen am 18.04.2024.