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Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877.

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am Mittage, da ich wegen der Zeitung bei ihr
eingetreten, auf's Heftigste geklaget, daß nun das
Lied, so sie im Voraus darüber habe anfertigen
und drucken lassen, nur kaum noch passen werde,
wie die Faust auf's Auge. Ich aber, und mit
mir mein viel lieber Bruder, hatte so meine
eigenen Gedanken von dem Hexenwesen; und
freuete mich, daß unser Herrgott -- denn der
war es doch wol gewesen -- das arme junge
Mensch so gnädiglich in seinen Schooß genom¬
men hatte.

Mein Bruder, welcher weichen Herzens war,
begann gleichwol der Pflichten seines Amts sich
zu beklagen; denn er hatte drüben von der Rath¬
haustreppe das Urthel zu verlesen, sobald der
Racker den todten Leichnam davor aufgefahren,
und hernach auch der Justification selber zu assi¬
stiren. "Es schneidet mir schon itzund in das
Herz;" sagte er, "das greuelhafte Gejohle, wenn
sie mit dem Karren die Straße herabkommen;
denn die Schulen werden ihre Buben und die
Zunftmeister ihre Lehrburschen loslassen. -- An

am Mittage, da ich wegen der Zeitung bei ihr
eingetreten, auf's Heftigſte geklaget, daß nun das
Lied, ſo ſie im Voraus darüber habe anfertigen
und drucken laſſen, nur kaum noch paſſen werde,
wie die Fauſt auf's Auge. Ich aber, und mit
mir mein viel lieber Bruder, hatte ſo meine
eigenen Gedanken von dem Hexenweſen; und
freuete mich, daß unſer Herrgott — denn der
war es doch wol geweſen — das arme junge
Menſch ſo gnädiglich in ſeinen Schooß genom¬
men hatte.

Mein Bruder, welcher weichen Herzens war,
begann gleichwol der Pflichten ſeines Amts ſich
zu beklagen; denn er hatte drüben von der Rath¬
haustreppe das Urthel zu verleſen, ſobald der
Racker den todten Leichnam davor aufgefahren,
und hernach auch der Juſtification ſelber zu aſſi¬
ſtiren. „Es ſchneidet mir ſchon itzund in das
Herz;“ ſagte er, „das greuelhafte Gejohle, wenn
ſie mit dem Karren die Straße herabkommen;
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[130/0144] am Mittage, da ich wegen der Zeitung bei ihr eingetreten, auf's Heftigſte geklaget, daß nun das Lied, ſo ſie im Voraus darüber habe anfertigen und drucken laſſen, nur kaum noch paſſen werde, wie die Fauſt auf's Auge. Ich aber, und mit mir mein viel lieber Bruder, hatte ſo meine eigenen Gedanken von dem Hexenweſen; und freuete mich, daß unſer Herrgott — denn der war es doch wol geweſen — das arme junge Menſch ſo gnädiglich in ſeinen Schooß genom¬ men hatte. Mein Bruder, welcher weichen Herzens war, begann gleichwol der Pflichten ſeines Amts ſich zu beklagen; denn er hatte drüben von der Rath¬ haustreppe das Urthel zu verleſen, ſobald der Racker den todten Leichnam davor aufgefahren, und hernach auch der Juſtification ſelber zu aſſi¬ ſtiren. „Es ſchneidet mir ſchon itzund in das Herz;“ ſagte er, „das greuelhafte Gejohle, wenn ſie mit dem Karren die Straße herabkommen; denn die Schulen werden ihre Buben und die Zunftmeiſter ihre Lehrburſchen loslaſſen. — An

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Zitationshilfe: Storm, Theodor: Aquis submersus. Berlin, 1877, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storm_aquis_1877/144>, abgerufen am 02.05.2024.