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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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Mit diesen zum Theil sehr liebenswürdigen
Eigenschaften verbinden die Petersburger einen
bey vielen Gelegenheiten auffallenden Leicht-
sinn
, und eine Unbeständigkeit, die ih-
ren besten Entwürfen und Einrichtungen den
Untergang droht, so bald sie aufgehört haben,
etwas Neues zu seyn. -- Die Residenz ist
der Mittelpunkt aller politischen Verbindungen,
der Hauptsitz des Handels und der Gewerbe;
jeder findet hier die Sphäre seiner Thätigkeit,
das Ziel seines Strebens. Natürlich ist es
nirgend im Reiche leichter, Glück zu machen,
als hier. Die häufigen Erfahrungen hievon
entfernen den Gedanken an die Zukunft, die
Vorsorge für mögliche, aber nicht wahrschein-
liche Fälle. Die mehresten Menschen leben
für den Augenblick, und lassen ihr gutes
Schicksal für das Uebrige sorgen. Leute die
eine abhängige Existenz oder zahlreiche Fami-
lien haben, sind ruhig, wenn sie nur das Be-
dürfniß des Tages befriedigen können. Viele
nehmen in Verlegenheiten ihre Zuflucht zu kri-
tischen und seltsamen Hülfsmitteln; aber mit
Schulden belastet und von Gläubigern ver-
folgt, bringen sie eine heitre Stirne und die

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Mit dieſen zum Theil ſehr liebenswuͤrdigen
Eigenſchaften verbinden die Petersburger einen
bey vielen Gelegenheiten auffallenden Leicht-
ſinn
, und eine Unbeſtaͤndigkeit, die ih-
ren beſten Entwuͤrfen und Einrichtungen den
Untergang droht, ſo bald ſie aufgehoͤrt haben,
etwas Neues zu ſeyn. — Die Reſidenz iſt
der Mittelpunkt aller politiſchen Verbindungen,
der Hauptſitz des Handels und der Gewerbe;
jeder findet hier die Sphaͤre ſeiner Thaͤtigkeit,
das Ziel ſeines Strebens. Natuͤrlich iſt es
nirgend im Reiche leichter, Gluͤck zu machen,
als hier. Die haͤufigen Erfahrungen hievon
entfernen den Gedanken an die Zukunft, die
Vorſorge fuͤr moͤgliche, aber nicht wahrſchein-
liche Faͤlle. Die mehreſten Menſchen leben
fuͤr den Augenblick, und laſſen ihr gutes
Schickſal fuͤr das Uebrige ſorgen. Leute die
eine abhaͤngige Exiſtenz oder zahlreiche Fami-
lien haben, ſind ruhig, wenn ſie nur das Be-
duͤrfniß des Tages befriedigen koͤnnen. Viele
nehmen in Verlegenheiten ihre Zuflucht zu kri-
tiſchen und ſeltſamen Huͤlfsmitteln; aber mit
Schulden belaſtet und von Glaͤubigern ver-
folgt, bringen ſie eine heitre Stirne und die

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[519/0537] Mit dieſen zum Theil ſehr liebenswuͤrdigen Eigenſchaften verbinden die Petersburger einen bey vielen Gelegenheiten auffallenden Leicht- ſinn, und eine Unbeſtaͤndigkeit, die ih- ren beſten Entwuͤrfen und Einrichtungen den Untergang droht, ſo bald ſie aufgehoͤrt haben, etwas Neues zu ſeyn. — Die Reſidenz iſt der Mittelpunkt aller politiſchen Verbindungen, der Hauptſitz des Handels und der Gewerbe; jeder findet hier die Sphaͤre ſeiner Thaͤtigkeit, das Ziel ſeines Strebens. Natuͤrlich iſt es nirgend im Reiche leichter, Gluͤck zu machen, als hier. Die haͤufigen Erfahrungen hievon entfernen den Gedanken an die Zukunft, die Vorſorge fuͤr moͤgliche, aber nicht wahrſchein- liche Faͤlle. Die mehreſten Menſchen leben fuͤr den Augenblick, und laſſen ihr gutes Schickſal fuͤr das Uebrige ſorgen. Leute die eine abhaͤngige Exiſtenz oder zahlreiche Fami- lien haben, ſind ruhig, wenn ſie nur das Be- duͤrfniß des Tages befriedigen koͤnnen. Viele nehmen in Verlegenheiten ihre Zuflucht zu kri- tiſchen und ſeltſamen Huͤlfsmitteln; aber mit Schulden belaſtet und von Glaͤubigern ver- folgt, bringen ſie eine heitre Stirne und die K k 4

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/537>, abgerufen am 02.05.2024.