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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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fassen, und die Modifikationen derselben mit
seiner Erfahrung und seinem Gefühl zu ver-
gleichen. Dieses Geschäft, welchem ich mich
seit mehreren Jahren unterzogen habe, hat
mich zu der individuellen Ueberzeugung ge-
führt, daß häusliches Glück hier, wo nicht
seltner als in andern großen Städten, doch
immer nur selten vorhanden ist. Dieses Ur-
theil, welches, ich wiederhole es, nur das
Resultat meiner Ueberzeugung ist, kann viel-
leicht durch eine größere Erfahrung und einen
tiefern Blick in die feinen Kombinationen des
Familienglücks widerlegt werden; aber um
desto nothwendiger finde ich es, die Gründe
meiner Ueberzeugung hier einer Entscheidung
beyzufügen, welche ohnedies das Ansehn eines
lächerlichen Machtspruchs haben würde.

Große, üppige und luxuriöse Städte sind
überall nicht der Boden, auf welchem die zarte
Pflanze der stillen häuslichen Glückseligkeit ge-
deiht. Die häufigen und anreizenden Gelegen-
heiten zu öffentlichen Vergnügungen und rau-
schenden Ergötzlichkeiten machen den Geschmack
an denselben herrschend, und schwächen den
sanften Eindruck, den die einfachen Freuden im

faſſen, und die Modifikationen derſelben mit
ſeiner Erfahrung und ſeinem Gefuͤhl zu ver-
gleichen. Dieſes Geſchaͤft, welchem ich mich
ſeit mehreren Jahren unterzogen habe, hat
mich zu der individuellen Ueberzeugung ge-
fuͤhrt, daß haͤusliches Gluͤck hier, wo nicht
ſeltner als in andern großen Staͤdten, doch
immer nur ſelten vorhanden iſt. Dieſes Ur-
theil, welches, ich wiederhole es, nur das
Reſultat meiner Ueberzeugung iſt, kann viel-
leicht durch eine groͤßere Erfahrung und einen
tiefern Blick in die feinen Kombinationen des
Familiengluͤcks widerlegt werden; aber um
deſto nothwendiger finde ich es, die Gruͤnde
meiner Ueberzeugung hier einer Entſcheidung
beyzufuͤgen, welche ohnedies das Anſehn eines
laͤcherlichen Machtſpruchs haben wuͤrde.

Große, uͤppige und luxurioͤſe Staͤdte ſind
uͤberall nicht der Boden, auf welchem die zarte
Pflanze der ſtillen haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ge-
deiht. Die haͤufigen und anreizenden Gelegen-
heiten zu oͤffentlichen Vergnuͤgungen und rau-
ſchenden Ergoͤtzlichkeiten machen den Geſchmack
an denſelben herrſchend, und ſchwaͤchen den
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[458/0476] faſſen, und die Modifikationen derſelben mit ſeiner Erfahrung und ſeinem Gefuͤhl zu ver- gleichen. Dieſes Geſchaͤft, welchem ich mich ſeit mehreren Jahren unterzogen habe, hat mich zu der individuellen Ueberzeugung ge- fuͤhrt, daß haͤusliches Gluͤck hier, wo nicht ſeltner als in andern großen Staͤdten, doch immer nur ſelten vorhanden iſt. Dieſes Ur- theil, welches, ich wiederhole es, nur das Reſultat meiner Ueberzeugung iſt, kann viel- leicht durch eine groͤßere Erfahrung und einen tiefern Blick in die feinen Kombinationen des Familiengluͤcks widerlegt werden; aber um deſto nothwendiger finde ich es, die Gruͤnde meiner Ueberzeugung hier einer Entſcheidung beyzufuͤgen, welche ohnedies das Anſehn eines laͤcherlichen Machtſpruchs haben wuͤrde. Große, uͤppige und luxurioͤſe Staͤdte ſind uͤberall nicht der Boden, auf welchem die zarte Pflanze der ſtillen haͤuslichen Gluͤckſeligkeit ge- deiht. Die haͤufigen und anreizenden Gelegen- heiten zu oͤffentlichen Vergnuͤgungen und rau- ſchenden Ergoͤtzlichkeiten machen den Geſchmack an denſelben herrſchend, und ſchwaͤchen den ſanften Eindruck, den die einfachen Freuden im

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/476>, abgerufen am 23.11.2024.