gemeinste Bauer nicht, darf anders als vor Gericht mit Schlägen behandelt werden. Wenn einzelne Menschen ein solches widerrecht- liches Verfahren an sich erdulden, so ist Klein- muth, gewohnter Sklavensinn, oder Unbekannt- schaft ihrer Rechte Schuld daran; aber der bey weitem zahlreichere Theil des Pöbels der Residenz kennt seinen Schutz und weiß ihn geltend zu machen. In einem solchen Fall wird es dem Beklagten nicht selten schwer, sich zu rechtfertigen, oder Genugthuung zu er- halten, wenn er sich berechtigt glaubt, diese zu fordern. Die Polizey, das gewöhnliche Tribunal solcher Vorfälle, ist nach der Lage der Dinge natürlich geneigt, immer eher auf die Seite der bisher unterdrückten Parthey zu treten; einzelne unangenehme Erfahrungen die- ser Art haben die höhern Stände behutsam gemacht, und manchem Usurpatoren unter den- selben Achtung für Menschenwerth durch die Schärfe des Gesetzes gepredigt.
In keinem Lande ist der Abstand in der Lebensart der untersten Volksklasse und des geringern Mittelstandes so groß als in Ruß- land. Wenn jene noch ganz nach alter Natio-
gemeinſte Bauer nicht, darf anders als vor Gericht mit Schlaͤgen behandelt werden. Wenn einzelne Menſchen ein ſolches widerrecht- liches Verfahren an ſich erdulden, ſo iſt Klein- muth, gewohnter Sklavenſinn, oder Unbekannt- ſchaft ihrer Rechte Schuld daran; aber der bey weitem zahlreichere Theil des Poͤbels der Reſidenz kennt ſeinen Schutz und weiß ihn geltend zu machen. In einem ſolchen Fall wird es dem Beklagten nicht ſelten ſchwer, ſich zu rechtfertigen, oder Genugthuung zu er- halten, wenn er ſich berechtigt glaubt, dieſe zu fordern. Die Polizey, das gewoͤhnliche Tribunal ſolcher Vorfaͤlle, iſt nach der Lage der Dinge natuͤrlich geneigt, immer eher auf die Seite der bisher unterdruͤckten Parthey zu treten; einzelne unangenehme Erfahrungen die- ſer Art haben die hoͤhern Staͤnde behutſam gemacht, und manchem Uſurpatoren unter den- ſelben Achtung fuͤr Menſchenwerth durch die Schaͤrfe des Geſetzes gepredigt.
In keinem Lande iſt der Abſtand in der Lebensart der unterſten Volksklaſſe und des geringern Mittelſtandes ſo groß als in Ruß- land. Wenn jene noch ganz nach alter Natio-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0399"n="381"/>
gemeinſte Bauer nicht, darf anders als vor<lb/>
Gericht mit Schlaͤgen behandelt werden.<lb/>
Wenn einzelne Menſchen ein ſolches widerrecht-<lb/>
liches Verfahren an ſich erdulden, ſo iſt Klein-<lb/>
muth, gewohnter Sklavenſinn, oder Unbekannt-<lb/>ſchaft ihrer Rechte Schuld daran; aber der<lb/>
bey weitem zahlreichere Theil des Poͤbels der<lb/>
Reſidenz kennt ſeinen Schutz und weiß ihn<lb/>
geltend zu machen. In einem ſolchen Fall<lb/>
wird es dem Beklagten nicht ſelten ſchwer,<lb/>ſich zu rechtfertigen, oder Genugthuung zu er-<lb/>
halten, wenn er ſich berechtigt glaubt, dieſe<lb/>
zu fordern. Die Polizey, das gewoͤhnliche<lb/>
Tribunal ſolcher Vorfaͤlle, iſt nach der Lage<lb/>
der Dinge natuͤrlich geneigt, immer eher auf<lb/>
die Seite der bisher unterdruͤckten Parthey zu<lb/>
treten; einzelne unangenehme Erfahrungen die-<lb/>ſer Art haben die hoͤhern Staͤnde behutſam<lb/>
gemacht, und manchem Uſurpatoren unter den-<lb/>ſelben Achtung fuͤr Menſchenwerth durch die<lb/>
Schaͤrfe des Geſetzes gepredigt.</p><lb/><p>In keinem Lande iſt der Abſtand in der<lb/>
Lebensart der unterſten Volksklaſſe und des<lb/>
geringern Mittelſtandes ſo groß als in Ruß-<lb/>
land. Wenn jene noch ganz nach alter Natio-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[381/0399]
gemeinſte Bauer nicht, darf anders als vor
Gericht mit Schlaͤgen behandelt werden.
Wenn einzelne Menſchen ein ſolches widerrecht-
liches Verfahren an ſich erdulden, ſo iſt Klein-
muth, gewohnter Sklavenſinn, oder Unbekannt-
ſchaft ihrer Rechte Schuld daran; aber der
bey weitem zahlreichere Theil des Poͤbels der
Reſidenz kennt ſeinen Schutz und weiß ihn
geltend zu machen. In einem ſolchen Fall
wird es dem Beklagten nicht ſelten ſchwer,
ſich zu rechtfertigen, oder Genugthuung zu er-
halten, wenn er ſich berechtigt glaubt, dieſe
zu fordern. Die Polizey, das gewoͤhnliche
Tribunal ſolcher Vorfaͤlle, iſt nach der Lage
der Dinge natuͤrlich geneigt, immer eher auf
die Seite der bisher unterdruͤckten Parthey zu
treten; einzelne unangenehme Erfahrungen die-
ſer Art haben die hoͤhern Staͤnde behutſam
gemacht, und manchem Uſurpatoren unter den-
ſelben Achtung fuͤr Menſchenwerth durch die
Schaͤrfe des Geſetzes gepredigt.
In keinem Lande iſt der Abſtand in der
Lebensart der unterſten Volksklaſſe und des
geringern Mittelſtandes ſo groß als in Ruß-
land. Wenn jene noch ganz nach alter Natio-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/399>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.