Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

zu welchem man sich unvermerkt hingezogen
fühlt, erzeugt und genährt wird. Nichts ist
natürlicher, als daß der Meister Schuhmacher,
der hier in Gesellschaft von Staatsbedienten,
Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten
spielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide-
ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird --
daß er sich nun erniedrigt fühlt, wenn er zu
seinem Klubbgenossen, dem Hofrath, gerufen
wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen.
Daher die Insolenz dieser Art Leute, die so
weit geht, daß man sie nur mit der größten
Höflichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune
bewegen kann, für gute Bezahlung ihre Ar-
beit zu liefern. -- So gegründet diese Vor-
würfe aber sind, so wenig können sie doch,
wie sich leicht von selbst versteht, von Allen
gelten. Der Klubb an sich ist ein Instilut,
welches sogar seinen Nutzen haben kann, und
nur durch Mißbrauch entstehen jene Folgen.
Er erhält, zum Beyspiel, den Gemeinsinn des
Bürgers, verfeinert seine Sitten, bildet seinen
Geschmack, und macht ihn wol gar, wenn das
Glück wohl will, zum politischen Seher.


zu welchem man ſich unvermerkt hingezogen
fuͤhlt, erzeugt und genaͤhrt wird. Nichts iſt
natuͤrlicher, als daß der Meiſter Schuhmacher,
der hier in Geſellſchaft von Staatsbedienten,
Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten
ſpielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide-
ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird —
daß er ſich nun erniedrigt fuͤhlt, wenn er zu
ſeinem Klubbgenoſſen, dem Hofrath, gerufen
wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen.
Daher die Inſolenz dieſer Art Leute, die ſo
weit geht, daß man ſie nur mit der groͤßten
Hoͤflichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune
bewegen kann, fuͤr gute Bezahlung ihre Ar-
beit zu liefern. — So gegruͤndet dieſe Vor-
wuͤrfe aber ſind, ſo wenig koͤnnen ſie doch,
wie ſich leicht von ſelbſt verſteht, von Allen
gelten. Der Klubb an ſich iſt ein Inſtilut,
welches ſogar ſeinen Nutzen haben kann, und
nur durch Mißbrauch entſtehen jene Folgen.
Er erhaͤlt, zum Beyſpiel, den Gemeinſinn des
Buͤrgers, verfeinert ſeine Sitten, bildet ſeinen
Geſchmack, und macht ihn wol gar, wenn das
Gluͤck wohl will, zum politiſchen Seher.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="292"/>
zu welchem man &#x017F;ich unvermerkt hingezogen<lb/>
fu&#x0364;hlt, erzeugt und gena&#x0364;hrt wird. Nichts i&#x017F;t<lb/>
natu&#x0364;rlicher, als daß der Mei&#x017F;ter Schuhmacher,<lb/>
der hier in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von Staatsbedienten,<lb/>
Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten<lb/>
&#x017F;pielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide-<lb/>
ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird &#x2014;<lb/>
daß er &#x017F;ich nun erniedrigt fu&#x0364;hlt, wenn er zu<lb/>
&#x017F;einem Klubbgeno&#x017F;&#x017F;en, dem Hofrath, gerufen<lb/>
wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen.<lb/>
Daher die In&#x017F;olenz die&#x017F;er Art Leute, die &#x017F;o<lb/>
weit geht, daß man &#x017F;ie nur mit der gro&#x0364;ßten<lb/>
Ho&#x0364;flichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune<lb/>
bewegen kann, fu&#x0364;r gute Bezahlung ihre Ar-<lb/>
beit zu liefern. &#x2014; So gegru&#x0364;ndet die&#x017F;e Vor-<lb/>
wu&#x0364;rfe aber &#x017F;ind, &#x017F;o wenig ko&#x0364;nnen &#x017F;ie doch,<lb/>
wie &#x017F;ich leicht von &#x017F;elb&#x017F;t ver&#x017F;teht, von Allen<lb/>
gelten. Der Klubb an &#x017F;ich i&#x017F;t ein In&#x017F;tilut,<lb/>
welches &#x017F;ogar &#x017F;einen Nutzen haben kann, und<lb/>
nur durch Mißbrauch ent&#x017F;tehen jene Folgen.<lb/>
Er erha&#x0364;lt, zum Bey&#x017F;piel, den Gemein&#x017F;inn des<lb/>
Bu&#x0364;rgers, verfeinert &#x017F;eine Sitten, bildet &#x017F;einen<lb/>
Ge&#x017F;chmack, und macht ihn wol gar, wenn das<lb/>
Glu&#x0364;ck wohl will, zum politi&#x017F;chen Seher.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0310] zu welchem man ſich unvermerkt hingezogen fuͤhlt, erzeugt und genaͤhrt wird. Nichts iſt natuͤrlicher, als daß der Meiſter Schuhmacher, der hier in Geſellſchaft von Staatsbedienten, Offizieren, Gelehrten und Kaufleuten Karten ſpielt und Tobak raucht, und von wohlgekleide- ten Livreebedienten ehrerbietig bedient wird — daß er ſich nun erniedrigt fuͤhlt, wenn er zu ſeinem Klubbgenoſſen, dem Hofrath, gerufen wird, um das Maaß zu Schuhen zu nehmen. Daher die Inſolenz dieſer Art Leute, die ſo weit geht, daß man ſie nur mit der groͤßten Hoͤflichkeit und Nachgiebigkeit gegen ihre Laune bewegen kann, fuͤr gute Bezahlung ihre Ar- beit zu liefern. — So gegruͤndet dieſe Vor- wuͤrfe aber ſind, ſo wenig koͤnnen ſie doch, wie ſich leicht von ſelbſt verſteht, von Allen gelten. Der Klubb an ſich iſt ein Inſtilut, welches ſogar ſeinen Nutzen haben kann, und nur durch Mißbrauch entſtehen jene Folgen. Er erhaͤlt, zum Beyſpiel, den Gemeinſinn des Buͤrgers, verfeinert ſeine Sitten, bildet ſeinen Geſchmack, und macht ihn wol gar, wenn das Gluͤck wohl will, zum politiſchen Seher.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/310
Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/310>, abgerufen am 23.11.2024.