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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794.

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es, eben des allzugroßen Euthusiasmus wegen,
um die Dauer dieses Modegeschmacks ein we-
nig mißlich aussieht. Die meisten derselben
zeichnen sich durch gute Einrichtung und solide
Wahl der Bücher aus, die unbedeutenden Aus-
nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der
Damen und der unbeschäftigten jungen Stuz-
zerwelt nothwendig macht. Reisebeschreibun-
gen, Zeitgeschichte und schöne Litteratur gehö-
ren hier so gut wie in Deutschland zur Lieb-
lingslektüre; nur mit dem Unterschiede, daß der
Geschmack hier nicht so schnellwechselnden Lau-
nen unterworfen ist, als dort, wo jeder Meß-
katalog die Probekarte der Moden des Augen-
blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio-
nen der deutschen Lesewelt zum Sentimentalen,
zur Empfindeley, zur Mystifikation, zur reinen
Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra-
gischen, Heroischen, Gräßlichen, zu Volksmär-
chen und Rittergeschichten -- alle diese Mode-
revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von
zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz
der deutschen Litteratur abgewechselt haben,
sind nicht vermögend gewesen, etwas über un-
sern festen Geschmack -- oder über unsere Un-

es, eben des allzugroßen Euthuſiasmus wegen,
um die Dauer dieſes Modegeſchmacks ein we-
nig mißlich ausſieht. Die meiſten derſelben
zeichnen ſich durch gute Einrichtung und ſolide
Wahl der Buͤcher aus, die unbedeutenden Aus-
nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der
Damen und der unbeſchaͤftigten jungen Stuz-
zerwelt nothwendig macht. Reiſebeſchreibun-
gen, Zeitgeſchichte und ſchoͤne Litteratur gehoͤ-
ren hier ſo gut wie in Deutſchland zur Lieb-
lingslektuͤre; nur mit dem Unterſchiede, daß der
Geſchmack hier nicht ſo ſchnellwechſelnden Lau-
nen unterworfen iſt, als dort, wo jeder Meß-
katalog die Probekarte der Moden des Augen-
blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio-
nen der deutſchen Leſewelt zum Sentimentalen,
zur Empfindeley, zur Myſtifikation, zur reinen
Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra-
giſchen, Heroiſchen, Graͤßlichen, zu Volksmaͤr-
chen und Rittergeſchichten — alle dieſe Mode-
revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von
zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz
der deutſchen Litteratur abgewechſelt haben,
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[162/0178] es, eben des allzugroßen Euthuſiasmus wegen, um die Dauer dieſes Modegeſchmacks ein we- nig mißlich ausſieht. Die meiſten derſelben zeichnen ſich durch gute Einrichtung und ſolide Wahl der Buͤcher aus, die unbedeutenden Aus- nahmen abgerechnet, welche der Beytritt der Damen und der unbeſchaͤftigten jungen Stuz- zerwelt nothwendig macht. Reiſebeſchreibun- gen, Zeitgeſchichte und ſchoͤne Litteratur gehoͤ- ren hier ſo gut wie in Deutſchland zur Lieb- lingslektuͤre; nur mit dem Unterſchiede, daß der Geſchmack hier nicht ſo ſchnellwechſelnden Lau- nen unterworfen iſt, als dort, wo jeder Meß- katalog die Probekarte der Moden des Augen- blicks liefert. Die mannigfaltigen Deklinatio- nen der deutſchen Leſewelt zum Sentimentalen, zur Empfindeley, zur Myſtifikation, zur reinen Vernunft, zum Kryptokatholicismus, zum Tra- giſchen, Heroiſchen, Graͤßlichen, zu Volksmaͤr- chen und Rittergeſchichten — alle dieſe Mode- revolutionen, die innerhalb eines Zeitraums von zehn bis funfzehn Jahren auf dem Schauplatz der deutſchen Litteratur abgewechſelt haben, ſind nicht vermoͤgend geweſen, etwas uͤber un- ſern feſten Geſchmack — oder uͤber unſere Un-

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 2. Riga, 1794, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg02_1794/178>, abgerufen am 28.04.2024.