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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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gen, wenn die ersten Stralen der Sonne die
Spitzen der Häuser vergolden. Noch habe ich
keinen Fremdling gekannt, der bey dem ersten
Genuß einer solchen Sommernacht unempfindlich
geblieben wäre.

Aber ach zu welchen Scenen bereiten diese
wollüstigen Augenblicke vor! dem kurzen Som-
mer folgt ein Herbst, der durch seine tausend-
fachen Unannehmlichkeiten das Andenken an die
wenigen schönen Tage verlöscht. Um diese Jahrs-
zeit verwandelt sich Petersburg in den häßlichsten
Winkel der Erde. Der Horizont bedeckt sich
auf mehrere Wochen mit dicken schwarzgrauen
Wolken, durch die kein Stral der Sonne bricht;
die ohnehin schon kurzen Tage werden zu einer
melankolischen Dämmerung; der unaufhörliche
Regen macht die Gassen, trotz der kostbaren un-
terirrdischen Kanäle, so kothig, daß es jedem
wohlgekleideten Menschen unmöglich ist, zu Fuße
zu gehn; und um das häßliche Ideal eines
Herbstabends vollkommen zu machen, gesellen
sich häufige Stürme dazu.

So ist der Boden und der Himmel beschaf-
fen, auf und unter welchem St. Petersburg liegt.
Jetzt wollen wir einen Blick auf die Stadt selbst

gen, wenn die erſten Stralen der Sonne die
Spitzen der Haͤuſer vergolden. Noch habe ich
keinen Fremdling gekannt, der bey dem erſten
Genuß einer ſolchen Sommernacht unempfindlich
geblieben waͤre.

Aber ach zu welchen Scenen bereiten dieſe
wolluͤſtigen Augenblicke vor! dem kurzen Som-
mer folgt ein Herbſt, der durch ſeine tauſend-
fachen Unannehmlichkeiten das Andenken an die
wenigen ſchoͤnen Tage verloͤſcht. Um dieſe Jahrs-
zeit verwandelt ſich Petersburg in den haͤßlichſten
Winkel der Erde. Der Horizont bedeckt ſich
auf mehrere Wochen mit dicken ſchwarzgrauen
Wolken, durch die kein Stral der Sonne bricht;
die ohnehin ſchon kurzen Tage werden zu einer
melankoliſchen Daͤmmerung; der unaufhoͤrliche
Regen macht die Gaſſen, trotz der koſtbaren un-
terirrdiſchen Kanaͤle, ſo kothig, daß es jedem
wohlgekleideten Menſchen unmoͤglich iſt, zu Fuße
zu gehn; und um das haͤßliche Ideal eines
Herbſtabends vollkommen zu machen, geſellen
ſich haͤufige Stuͤrme dazu.

So iſt der Boden und der Himmel beſchaf-
fen, auf und unter welchem St. Petersburg liegt.
Jetzt wollen wir einen Blick auf die Stadt ſelbſt

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[13/0047] gen, wenn die erſten Stralen der Sonne die Spitzen der Haͤuſer vergolden. Noch habe ich keinen Fremdling gekannt, der bey dem erſten Genuß einer ſolchen Sommernacht unempfindlich geblieben waͤre. Aber ach zu welchen Scenen bereiten dieſe wolluͤſtigen Augenblicke vor! dem kurzen Som- mer folgt ein Herbſt, der durch ſeine tauſend- fachen Unannehmlichkeiten das Andenken an die wenigen ſchoͤnen Tage verloͤſcht. Um dieſe Jahrs- zeit verwandelt ſich Petersburg in den haͤßlichſten Winkel der Erde. Der Horizont bedeckt ſich auf mehrere Wochen mit dicken ſchwarzgrauen Wolken, durch die kein Stral der Sonne bricht; die ohnehin ſchon kurzen Tage werden zu einer melankoliſchen Daͤmmerung; der unaufhoͤrliche Regen macht die Gaſſen, trotz der koſtbaren un- terirrdiſchen Kanaͤle, ſo kothig, daß es jedem wohlgekleideten Menſchen unmoͤglich iſt, zu Fuße zu gehn; und um das haͤßliche Ideal eines Herbſtabends vollkommen zu machen, geſellen ſich haͤufige Stuͤrme dazu. So iſt der Boden und der Himmel beſchaf- fen, auf und unter welchem St. Petersburg liegt. Jetzt wollen wir einen Blick auf die Stadt ſelbſt

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/47>, abgerufen am 20.04.2024.