ist, so hat die kirchliche Verfassung der- selben sich nicht minder dieses Vorzugs zu rüh- men. Der allgemeine Geist derselben ist -- Toleranz. Ein System, auf so gutem Grunde gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreisung; die einfachste Darstellung ist die größte Lobrede desselben.
Das Haupt der griechischen Kirchen- verfassung ist bekanntlich der heilige dirigirende Synod, der seinen Sitz in St. Petersburg hat. Ihm ist die Ausübung der höchsten kirch- lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil- derung des hierarchischen Systems, durch wel- che die Nachtheile desselben vermieden werden, ohne die Vortheile desselben zu hindern. Auch die Protokolle dieses ehrwürdigen Tribunals athmen den Geist der Duldung, der sich hier vom Throne herab durch alle Zweige der Staats- verwaltung ergießt. Man hat sehr häufig von der kirchlichen Freyheit der nicht griechischen Religionsverwandten gesprochen, und darüber den beweisendern Fall vergessen, daß die grie- chische Sekte der Raskol'niki einer eben so un- eingeschränkten Freyheit genießt; ein Fall, den man noch vor kurzem in den Annalen aller
J 4
iſt, ſo hat die kirchliche Verfaſſung der- ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh- men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt — Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung; die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede deſſelben.
Das Haupt der griechiſchen Kirchen- verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende Synod, der ſeinen Sitz in St. Petersburg hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch- lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil- derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel- che die Nachtheile deſſelben vermieden werden, ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch die Protokolle dieſes ehrwuͤrdigen Tribunals athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier vom Throne herab durch alle Zweige der Staats- verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von der kirchlichen Freyheit der nicht griechiſchen Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die grie- chiſche Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un- eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den man noch vor kurzem in den Annalen aller
J 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0169"n="135"/>
iſt, ſo hat die <hirendition="#g">kirchliche Verfaſſung</hi> der-<lb/>ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh-<lb/>
men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt —<lb/>
Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde<lb/>
gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung;<lb/>
die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede<lb/>
deſſelben.</p><lb/><p>Das Haupt der <hirendition="#g">griechiſchen</hi> Kirchen-<lb/>
verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende<lb/><hirendition="#g">Synod</hi>, der ſeinen Sitz in St. Petersburg<lb/>
hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch-<lb/>
lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil-<lb/>
derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel-<lb/>
che die Nachtheile deſſelben vermieden werden,<lb/>
ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch<lb/>
die Protokolle <hirendition="#g">dieſes</hi> ehrwuͤrdigen Tribunals<lb/>
athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier<lb/>
vom Throne herab durch alle Zweige der Staats-<lb/>
verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von<lb/>
der kirchlichen Freyheit der <hirendition="#g">nicht</hi> griechiſchen<lb/>
Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber<lb/>
den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die <hirendition="#g">grie-<lb/>
chiſche</hi> Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un-<lb/>
eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den<lb/>
man noch vor kurzem in den Annalen aller<lb/><fwplace="bottom"type="sig">J 4</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[135/0169]
iſt, ſo hat die kirchliche Verfaſſung der-
ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh-
men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt —
Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde
gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung;
die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede
deſſelben.
Das Haupt der griechiſchen Kirchen-
verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende
Synod, der ſeinen Sitz in St. Petersburg
hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch-
lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil-
derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel-
che die Nachtheile deſſelben vermieden werden,
ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch
die Protokolle dieſes ehrwuͤrdigen Tribunals
athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier
vom Throne herab durch alle Zweige der Staats-
verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von
der kirchlichen Freyheit der nicht griechiſchen
Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber
den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die grie-
chiſche Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un-
eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den
man noch vor kurzem in den Annalen aller
J 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/169>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.