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Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

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ist, so hat die kirchliche Verfassung der-
selben sich nicht minder dieses Vorzugs zu rüh-
men. Der allgemeine Geist derselben ist --
Toleranz. Ein System, auf so gutem Grunde
gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreisung;
die einfachste Darstellung ist die größte Lobrede
desselben.

Das Haupt der griechischen Kirchen-
verfassung ist bekanntlich der heilige dirigirende
Synod, der seinen Sitz in St. Petersburg
hat. Ihm ist die Ausübung der höchsten kirch-
lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil-
derung des hierarchischen Systems, durch wel-
che die Nachtheile desselben vermieden werden,
ohne die Vortheile desselben zu hindern. Auch
die Protokolle dieses ehrwürdigen Tribunals
athmen den Geist der Duldung, der sich hier
vom Throne herab durch alle Zweige der Staats-
verwaltung ergießt. Man hat sehr häufig von
der kirchlichen Freyheit der nicht griechischen
Religionsverwandten gesprochen, und darüber
den beweisendern Fall vergessen, daß die grie-
chische
Sekte der Raskol'niki einer eben so un-
eingeschränkten Freyheit genießt; ein Fall, den
man noch vor kurzem in den Annalen aller

J 4

iſt, ſo hat die kirchliche Verfaſſung der-
ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh-
men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt —
Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde
gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung;
die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede
deſſelben.

Das Haupt der griechiſchen Kirchen-
verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende
Synod, der ſeinen Sitz in St. Petersburg
hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch-
lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil-
derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel-
che die Nachtheile deſſelben vermieden werden,
ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch
die Protokolle dieſes ehrwuͤrdigen Tribunals
athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier
vom Throne herab durch alle Zweige der Staats-
verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von
der kirchlichen Freyheit der nicht griechiſchen
Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber
den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die grie-
chiſche
Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un-
eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den
man noch vor kurzem in den Annalen aller

J 4
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[135/0169] iſt, ſo hat die kirchliche Verfaſſung der- ſelben ſich nicht minder dieſes Vorzugs zu ruͤh- men. Der allgemeine Geiſt derſelben iſt — Toleranz. Ein Syſtem, auf ſo gutem Grunde gebaut, bedarf keiner pomphaften Anpreiſung; die einfachſte Darſtellung iſt die groͤßte Lobrede deſſelben. Das Haupt der griechiſchen Kirchen- verfaſſung iſt bekanntlich der heilige dirigirende Synod, der ſeinen Sitz in St. Petersburg hat. Ihm iſt die Ausuͤbung der hoͤchſten kirch- lichen Gewalt anvertraut, aber mit einer Mil- derung des hierarchiſchen Syſtems, durch wel- che die Nachtheile deſſelben vermieden werden, ohne die Vortheile deſſelben zu hindern. Auch die Protokolle dieſes ehrwuͤrdigen Tribunals athmen den Geiſt der Duldung, der ſich hier vom Throne herab durch alle Zweige der Staats- verwaltung ergießt. Man hat ſehr haͤufig von der kirchlichen Freyheit der nicht griechiſchen Religionsverwandten geſprochen, und daruͤber den beweiſendern Fall vergeſſen, daß die grie- chiſche Sekte der Raskol’niki einer eben ſo un- eingeſchraͤnkten Freyheit genießt; ein Fall, den man noch vor kurzem in den Annalen aller J 4

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Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/169>, abgerufen am 27.11.2024.