Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

wir es bis jezt sind, bedurfte es nur gesunder
Augen; von nun an nähern wir uns dem
vorzüglichern Gegenstande unserer Betrachtung,
dem Menschen. Die Modifikationen seiner
Existenz, seine Bedürfnisse, sein Lebensgenuß,
sein Karakter und seine Individualität sind die
reichhaltigen Züge, aus denen das Gemälde
seiner Gattung zusammengesetzt werden muß.
-- Wenn kein Studium größeres Interesse für
den Menschen hat, als das Studium des Men-
schen, so hat auch keins größere Schwierig-
keiten. Glücklich, wem der Blick und die Ga-
be ward, das Wahre vom Falschen zu sondern,
allgemeine Züge fallen zu lassen, Eigenthüm-
lichkeiten zu greifen, und aus tausend einzelnen
Bemerkungen ein großes, wahres und anzie-
hendes Ganze zu bilden!

Die große Häusermasse, mit deren Anblick
wir uns bis jezt beschäftigt haben, wird von
einer so zahlreichen, und, in religiöser und po-
litischer Hinsicht so verschiedenartigen, Men-
schenmenge bewohnt, daß ohne die nähere
Kenntniß dieser Verhältnisse ein großer Theil
der nachfolgenden Untersuchungen und Schil-
derungen unzulänglich und unverständlich seyn

G 5

wir es bis jezt ſind, bedurfte es nur geſunder
Augen; von nun an naͤhern wir uns dem
vorzuͤglichern Gegenſtande unſerer Betrachtung,
dem Menſchen. Die Modifikationen ſeiner
Exiſtenz, ſeine Beduͤrfniſſe, ſein Lebensgenuß,
ſein Karakter und ſeine Individualitaͤt ſind die
reichhaltigen Zuͤge, aus denen das Gemaͤlde
ſeiner Gattung zuſammengeſetzt werden muß.
— Wenn kein Studium groͤßeres Intereſſe fuͤr
den Menſchen hat, als das Studium des Men-
ſchen, ſo hat auch keins groͤßere Schwierig-
keiten. Gluͤcklich, wem der Blick und die Ga-
be ward, das Wahre vom Falſchen zu ſondern,
allgemeine Zuͤge fallen zu laſſen, Eigenthuͤm-
lichkeiten zu greifen, und aus tauſend einzelnen
Bemerkungen ein großes, wahres und anzie-
hendes Ganze zu bilden!

Die große Haͤuſermaſſe, mit deren Anblick
wir uns bis jezt beſchaͤftigt haben, wird von
einer ſo zahlreichen, und, in religioͤſer und po-
litiſcher Hinſicht ſo verſchiedenartigen, Men-
ſchenmenge bewohnt, daß ohne die naͤhere
Kenntniß dieſer Verhaͤltniſſe ein großer Theil
der nachfolgenden Unterſuchungen und Schil-
derungen unzulaͤnglich und unverſtaͤndlich ſeyn

G 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0139" n="105"/>
wir es bis jezt &#x017F;ind, bedurfte es nur ge&#x017F;under<lb/>
Augen; von nun an na&#x0364;hern wir uns dem<lb/>
vorzu&#x0364;glichern Gegen&#x017F;tande un&#x017F;erer Betrachtung,<lb/>
dem <hi rendition="#g">Men&#x017F;chen</hi>. Die Modifikationen &#x017F;einer<lb/>
Exi&#x017F;tenz, &#x017F;eine Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;ein Lebensgenuß,<lb/>
&#x017F;ein Karakter und &#x017F;eine Individualita&#x0364;t &#x017F;ind die<lb/>
reichhaltigen Zu&#x0364;ge, aus denen das Gema&#x0364;lde<lb/>
&#x017F;einer Gattung zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt werden muß.<lb/>
&#x2014; Wenn kein Studium gro&#x0364;ßeres Intere&#x017F;&#x017F;e fu&#x0364;r<lb/>
den Men&#x017F;chen hat, als das Studium des Men-<lb/>
&#x017F;chen, &#x017F;o hat auch keins gro&#x0364;ßere Schwierig-<lb/>
keiten. Glu&#x0364;cklich, wem der Blick und die Ga-<lb/>
be ward, das Wahre vom Fal&#x017F;chen zu &#x017F;ondern,<lb/>
allgemeine Zu&#x0364;ge fallen zu la&#x017F;&#x017F;en, Eigenthu&#x0364;m-<lb/>
lichkeiten zu greifen, und aus tau&#x017F;end einzelnen<lb/>
Bemerkungen ein großes, wahres und anzie-<lb/>
hendes Ganze zu bilden!</p><lb/>
          <p>Die große Ha&#x0364;u&#x017F;erma&#x017F;&#x017F;e, mit deren Anblick<lb/>
wir uns bis jezt be&#x017F;cha&#x0364;ftigt haben, wird von<lb/>
einer &#x017F;o zahlreichen, und, in religio&#x0364;&#x017F;er und po-<lb/>
liti&#x017F;cher Hin&#x017F;icht &#x017F;o ver&#x017F;chiedenartigen, Men-<lb/>
&#x017F;chenmenge bewohnt, daß ohne die na&#x0364;here<lb/>
Kenntniß die&#x017F;er Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e ein großer Theil<lb/>
der nachfolgenden Unter&#x017F;uchungen und Schil-<lb/>
derungen unzula&#x0364;nglich und unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich &#x017F;eyn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0139] wir es bis jezt ſind, bedurfte es nur geſunder Augen; von nun an naͤhern wir uns dem vorzuͤglichern Gegenſtande unſerer Betrachtung, dem Menſchen. Die Modifikationen ſeiner Exiſtenz, ſeine Beduͤrfniſſe, ſein Lebensgenuß, ſein Karakter und ſeine Individualitaͤt ſind die reichhaltigen Zuͤge, aus denen das Gemaͤlde ſeiner Gattung zuſammengeſetzt werden muß. — Wenn kein Studium groͤßeres Intereſſe fuͤr den Menſchen hat, als das Studium des Men- ſchen, ſo hat auch keins groͤßere Schwierig- keiten. Gluͤcklich, wem der Blick und die Ga- be ward, das Wahre vom Falſchen zu ſondern, allgemeine Zuͤge fallen zu laſſen, Eigenthuͤm- lichkeiten zu greifen, und aus tauſend einzelnen Bemerkungen ein großes, wahres und anzie- hendes Ganze zu bilden! Die große Haͤuſermaſſe, mit deren Anblick wir uns bis jezt beſchaͤftigt haben, wird von einer ſo zahlreichen, und, in religioͤſer und po- litiſcher Hinſicht ſo verſchiedenartigen, Men- ſchenmenge bewohnt, daß ohne die naͤhere Kenntniß dieſer Verhaͤltniſſe ein großer Theil der nachfolgenden Unterſuchungen und Schil- derungen unzulaͤnglich und unverſtaͤndlich ſeyn G 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/139
Zitationshilfe: Storch, Heinrich Friedrich von: Gemählde von St. Petersburg. Bd. 1. Riga, 1794, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/storch_petersburg01_1794/139>, abgerufen am 21.11.2024.