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Stolberg-Stolberg, Christian zu; Stolberg-Stolberg, Friedrich Leopold zu: Gedichte. Leipzig, 1779.

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Also flossen auch uns vereint der Kindheit und Ju-
gend
Tage; jegliche Lust theilten wir, jeglichen
Schmerz!
Jeden werdenden Wunsch, und jede heimliche Sorge,
Jedes Sehnen, das kein Flügel der Hofnung
noch hub,
Jeden ahndenden Trieb, eh Selbstbewustsein ihn
wiegte,
Fühlten beide zugleich in der innersten Brust!
Ach, nun sind wir getrent! Zwar bringt der Früh-
ling dich wieder;
Aber im sausigen Baum rauschet noch herbst-
liches Laub,
Wankend schüttelt ihr Haupt mit falben Locken die
Esche,
Halb entkleidet vom Sturm, zittert erröthend
der Hain.
Eile, rollende Zeit, die Bahn des Jahres hin-
unter!
Steige, rollende Zeit, mit dem Frühling em-
por!
Stolb. T
Alſo floſſen auch uns vereint der Kindheit und Ju-
gend
Tage; jegliche Luſt theilten wir, jeglichen
Schmerz!
Jeden werdenden Wunſch, und jede heimliche Sorge,
Jedes Sehnen, das kein Fluͤgel der Hofnung
noch hub,
Jeden ahndenden Trieb, eh Selbſtbewuſtſein ihn
wiegte,
Fuͤhlten beide zugleich in der innerſten Bruſt!
Ach, nun ſind wir getrent! Zwar bringt der Fruͤh-
ling dich wieder;
Aber im ſauſigen Baum rauſchet noch herbſt-
liches Laub,
Wankend ſchuͤttelt ihr Haupt mit falben Locken die
Eſche,
Halb entkleidet vom Sturm, zittert erroͤthend
der Hain.
Eile, rollende Zeit, die Bahn des Jahres hin-
unter!
Steige, rollende Zeit, mit dem Fruͤhling em-
por!
Stolb. T
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[289/0305] Alſo floſſen auch uns vereint der Kindheit und Ju- gend Tage; jegliche Luſt theilten wir, jeglichen Schmerz! Jeden werdenden Wunſch, und jede heimliche Sorge, Jedes Sehnen, das kein Fluͤgel der Hofnung noch hub, Jeden ahndenden Trieb, eh Selbſtbewuſtſein ihn wiegte, Fuͤhlten beide zugleich in der innerſten Bruſt! Ach, nun ſind wir getrent! Zwar bringt der Fruͤh- ling dich wieder; Aber im ſauſigen Baum rauſchet noch herbſt- liches Laub, Wankend ſchuͤttelt ihr Haupt mit falben Locken die Eſche, Halb entkleidet vom Sturm, zittert erroͤthend der Hain. Eile, rollende Zeit, die Bahn des Jahres hin- unter! Steige, rollende Zeit, mit dem Fruͤhling em- por! Stolb. T

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Zitationshilfe: Stolberg-Stolberg, Christian zu; Stolberg-Stolberg, Friedrich Leopold zu: Gedichte. Leipzig, 1779, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stolbergstolberg_gedichte_1779/305>, abgerufen am 18.05.2024.