Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

daß man ihnen nur erlaubte, bei Männern ihres Fachs, welche
Mitglieder einer privilegirten Gesellschaft waren,
für Lohn zu arbeiten; sie durften also weder für ihre eigene
Rechnung eine Werkstatt oder Arbeitsplatz halten, noch bei Leu-
ten außer ihrem Fach sich um Lohn verdingen. Wenn auf
Seite der Gesellen diese Isolirung lästig, zuweilen sogar schädlich
erschien, so trat dagegen die Reciprocität ausgleichend ins Mittel,
denn auch die Meister waren verbunden, nur junge Leute ihres
Fachs in den Werkstuben um Lohn zu beschäftigen. In diesem
gegenseitigen Zwangsverhältniß beruht allein der Rechtsstand der
Gesellen zur Innung, Gilde oder Handwerk; es unterscheidet sie
zugleich wesentlich von dem gemeinen Gesinde der übrigen bür-
gerlichen Welt, welches nach dem Empfange seines Lohns aus
aller Beziehung zu dem Stande seines Brodherrn tritt, wenn
dieser seinem ja ähnlich oder gleich war.

Dieser Rechtsstand konnte bei der frühern Gesetzgebung nur
von den Gesellschaften selbst durch angemessene Vorschriften fest-
gehalten werden. Die Nothwendigkeit wurde gar bald gefühlt!
Hatten sich die Handwerksmeister herausgehoben aus der allge-
meinen Bürgergemeine und wollten sie ihre Würde als raths-
fähige Corporationen auf die Dauer sichern, so durfte es ihnen
nicht gleichgültig sein, wie die Gehülfen ihres Fachs, aus denen
sie sich ergänzten, lebten; ja sie mußten sich sicher stellen, stets
geschickte und moralisch gute Leute in ihnen zu finden; dies
konnte nur durch Vorschriften geschehen, welche den Gehülfen
bestimmte Pflichten gegen die Meister auflegten, deren treue Er-
füllung ihnen die Aussicht öffnete, einst Mitglied einer Innung
zu werden, mithin ihre Isolirung aufhob und sie der Meister-
schaft näher stellte. So entstanden die Statuten oder Gesellen-
Artikel, anfangs von den Landes- oder Stadt-Behörden nur
geduldet, später selbst confirmirt, durch sie aber auch neue Hand-
werksvereine, die Gesellenbrüderschaft. Ihre Abhängigkeit
von den Corporationen der Meister war nur noch daran zu
erkennen, daß ein oder zwei Meister, die sie Gesellenväter nann-
ten, bei ihren Zusammenkünften den Vorsitz führten. So viel
Gutes in sittlicher Hinsicht diese Statuten bewirkt haben, so viel

1*

daß man ihnen nur erlaubte, bei Männern ihres Fachs, welche
Mitglieder einer privilegirten Geſellſchaft waren,
für Lohn zu arbeiten; ſie durften alſo weder für ihre eigene
Rechnung eine Werkſtatt oder Arbeitsplatz halten, noch bei Leu-
ten außer ihrem Fach ſich um Lohn verdingen. Wenn auf
Seite der Geſellen dieſe Iſolirung läſtig, zuweilen ſogar ſchädlich
erſchien, ſo trat dagegen die Reciprocität ausgleichend ins Mittel,
denn auch die Meiſter waren verbunden, nur junge Leute ihres
Fachs in den Werkſtuben um Lohn zu beſchäftigen. In dieſem
gegenſeitigen Zwangsverhältniß beruht allein der Rechtsſtand der
Geſellen zur Innung, Gilde oder Handwerk; es unterſcheidet ſie
zugleich weſentlich von dem gemeinen Geſinde der übrigen bür-
gerlichen Welt, welches nach dem Empfange ſeines Lohns aus
aller Beziehung zu dem Stande ſeines Brodherrn tritt, wenn
dieſer ſeinem ja ähnlich oder gleich war.

Dieſer Rechtsſtand konnte bei der frühern Geſetzgebung nur
von den Geſellſchaften ſelbſt durch angemeſſene Vorſchriften feſt-
gehalten werden. Die Nothwendigkeit wurde gar bald gefühlt!
Hatten ſich die Handwerksmeiſter herausgehoben aus der allge-
meinen Bürgergemeine und wollten ſie ihre Würde als raths-
fähige Corporationen auf die Dauer ſichern, ſo durfte es ihnen
nicht gleichgültig ſein, wie die Gehülfen ihres Fachs, aus denen
ſie ſich ergänzten, lebten; ja ſie mußten ſich ſicher ſtellen, ſtets
geſchickte und moraliſch gute Leute in ihnen zu finden; dies
konnte nur durch Vorſchriften geſchehen, welche den Gehülfen
beſtimmte Pflichten gegen die Meiſter auflegten, deren treue Er-
füllung ihnen die Ausſicht öffnete, einſt Mitglied einer Innung
zu werden, mithin ihre Iſolirung aufhob und ſie der Meiſter-
ſchaft näher ſtellte. So entſtanden die Statuten oder Geſellen-
Artikel, anfangs von den Landes- oder Stadt-Behörden nur
geduldet, ſpäter ſelbſt confirmirt, durch ſie aber auch neue Hand-
werksvereine, die Geſellenbrüderſchaft. Ihre Abhängigkeit
von den Corporationen der Meiſter war nur noch daran zu
erkennen, daß ein oder zwei Meiſter, die ſie Geſellenväter nann-
ten, bei ihren Zuſammenkünften den Vorſitz führten. So viel
Gutes in ſittlicher Hinſicht dieſe Statuten bewirkt haben, ſo viel

1*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="3"/>
daß man ihnen nur erlaubte, bei Männern ihres Fachs, welche<lb/><hi rendition="#g">Mitglieder einer privilegirten Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi> waren,<lb/>
für Lohn zu arbeiten; &#x017F;ie durften al&#x017F;o weder für ihre eigene<lb/>
Rechnung eine Werk&#x017F;tatt oder Arbeitsplatz halten, noch bei Leu-<lb/>
ten außer ihrem Fach &#x017F;ich um Lohn verdingen. Wenn auf<lb/>
Seite der Ge&#x017F;ellen die&#x017F;e I&#x017F;olirung lä&#x017F;tig, zuweilen &#x017F;ogar &#x017F;chädlich<lb/>
er&#x017F;chien, &#x017F;o trat dagegen die Reciprocität ausgleichend ins Mittel,<lb/>
denn auch die Mei&#x017F;ter waren verbunden, nur junge Leute ihres<lb/>
Fachs in den Werk&#x017F;tuben um Lohn zu be&#x017F;chäftigen. In die&#x017F;em<lb/>
gegen&#x017F;eitigen Zwangsverhältniß beruht allein der Rechts&#x017F;tand der<lb/>
Ge&#x017F;ellen zur Innung, Gilde oder Handwerk; es unter&#x017F;cheidet &#x017F;ie<lb/>
zugleich we&#x017F;entlich von dem gemeinen Ge&#x017F;inde der übrigen bür-<lb/>
gerlichen Welt, welches nach dem Empfange &#x017F;eines Lohns aus<lb/>
aller Beziehung zu dem Stande &#x017F;eines Brodherrn tritt, wenn<lb/>
die&#x017F;er &#x017F;einem ja ähnlich oder gleich war.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Rechts&#x017F;tand konnte bei der frühern Ge&#x017F;etzgebung nur<lb/>
von den Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;elb&#x017F;t durch angeme&#x017F;&#x017F;ene Vor&#x017F;chriften fe&#x017F;t-<lb/>
gehalten werden. Die Nothwendigkeit wurde gar bald gefühlt!<lb/>
Hatten &#x017F;ich die Handwerksmei&#x017F;ter herausgehoben aus der allge-<lb/>
meinen Bürgergemeine und wollten &#x017F;ie ihre Würde als raths-<lb/>
fähige Corporationen auf die Dauer &#x017F;ichern, &#x017F;o durfte es ihnen<lb/>
nicht gleichgültig &#x017F;ein, wie die Gehülfen ihres Fachs, aus denen<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich ergänzten, lebten; ja &#x017F;ie mußten &#x017F;ich &#x017F;icher &#x017F;tellen, &#x017F;tets<lb/>
ge&#x017F;chickte und morali&#x017F;ch gute Leute in ihnen zu finden; dies<lb/>
konnte nur durch Vor&#x017F;chriften ge&#x017F;chehen, welche den Gehülfen<lb/>
be&#x017F;timmte Pflichten gegen die Mei&#x017F;ter auflegten, deren treue Er-<lb/>
füllung ihnen die Aus&#x017F;icht öffnete, ein&#x017F;t Mitglied einer Innung<lb/>
zu werden, mithin ihre I&#x017F;olirung aufhob und &#x017F;ie der Mei&#x017F;ter-<lb/>
&#x017F;chaft näher &#x017F;tellte. So ent&#x017F;tanden die Statuten oder Ge&#x017F;ellen-<lb/>
Artikel, anfangs von den Landes- oder Stadt-Behörden nur<lb/>
geduldet, &#x017F;päter &#x017F;elb&#x017F;t confirmirt, durch &#x017F;ie aber auch neue Hand-<lb/>
werksvereine, die <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ellenbrüder&#x017F;chaft</hi>. Ihre Abhängigkeit<lb/>
von den Corporationen der Mei&#x017F;ter war nur noch daran zu<lb/>
erkennen, daß ein oder zwei Mei&#x017F;ter, die &#x017F;ie Ge&#x017F;ellenväter nann-<lb/>
ten, bei ihren Zu&#x017F;ammenkünften den Vor&#x017F;itz führten. So viel<lb/>
Gutes in &#x017F;ittlicher Hin&#x017F;icht die&#x017F;e Statuten bewirkt haben, &#x017F;o viel<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0013] daß man ihnen nur erlaubte, bei Männern ihres Fachs, welche Mitglieder einer privilegirten Geſellſchaft waren, für Lohn zu arbeiten; ſie durften alſo weder für ihre eigene Rechnung eine Werkſtatt oder Arbeitsplatz halten, noch bei Leu- ten außer ihrem Fach ſich um Lohn verdingen. Wenn auf Seite der Geſellen dieſe Iſolirung läſtig, zuweilen ſogar ſchädlich erſchien, ſo trat dagegen die Reciprocität ausgleichend ins Mittel, denn auch die Meiſter waren verbunden, nur junge Leute ihres Fachs in den Werkſtuben um Lohn zu beſchäftigen. In dieſem gegenſeitigen Zwangsverhältniß beruht allein der Rechtsſtand der Geſellen zur Innung, Gilde oder Handwerk; es unterſcheidet ſie zugleich weſentlich von dem gemeinen Geſinde der übrigen bür- gerlichen Welt, welches nach dem Empfange ſeines Lohns aus aller Beziehung zu dem Stande ſeines Brodherrn tritt, wenn dieſer ſeinem ja ähnlich oder gleich war. Dieſer Rechtsſtand konnte bei der frühern Geſetzgebung nur von den Geſellſchaften ſelbſt durch angemeſſene Vorſchriften feſt- gehalten werden. Die Nothwendigkeit wurde gar bald gefühlt! Hatten ſich die Handwerksmeiſter herausgehoben aus der allge- meinen Bürgergemeine und wollten ſie ihre Würde als raths- fähige Corporationen auf die Dauer ſichern, ſo durfte es ihnen nicht gleichgültig ſein, wie die Gehülfen ihres Fachs, aus denen ſie ſich ergänzten, lebten; ja ſie mußten ſich ſicher ſtellen, ſtets geſchickte und moraliſch gute Leute in ihnen zu finden; dies konnte nur durch Vorſchriften geſchehen, welche den Gehülfen beſtimmte Pflichten gegen die Meiſter auflegten, deren treue Er- füllung ihnen die Ausſicht öffnete, einſt Mitglied einer Innung zu werden, mithin ihre Iſolirung aufhob und ſie der Meiſter- ſchaft näher ſtellte. So entſtanden die Statuten oder Geſellen- Artikel, anfangs von den Landes- oder Stadt-Behörden nur geduldet, ſpäter ſelbſt confirmirt, durch ſie aber auch neue Hand- werksvereine, die Geſellenbrüderſchaft. Ihre Abhängigkeit von den Corporationen der Meiſter war nur noch daran zu erkennen, daß ein oder zwei Meiſter, die ſie Geſellenväter nann- ten, bei ihren Zuſammenkünften den Vorſitz führten. So viel Gutes in ſittlicher Hinſicht dieſe Statuten bewirkt haben, ſo viel 1*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844/13
Zitationshilfe: Stock, Ch. L.: Grundzüge der Verfassung des Gesellenwesens der deutschen Handwerker in alter und neuer Zeit. Magdeburg, 1844, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stock_gesellenwesen_1844/13>, abgerufen am 03.12.2024.